Maxen d. 29ten Mai 46
Meine liebe Emilie,
Recht lange ließ ich Dich wieder einmal ohne Nachricht, es kam aber so Manches dazwischen, was mich immer am Schreiben hinderte, hauptsächlich aber waren es Brustschmerzen, die mich abhielten, denn sie wurden immer durch Schreiben verursacht, – es mag eine Schwäche vom Wochenbett her seyn, die sich aber hoffentlich bald geben wird, wie sie jetzt schon bedeutend geringer ist. Während ich dies schreibe übersehe ich von meinem Fenster aus die ganze sächsische Schweitz, das Elbthal, kurz die ganze herrliche Gegend; wir sind seit einigen Tagen hier, wo wir uns, um die Landluft zu genießen, ein allerliebstes kleines Logie ┌auf einen Monat┐ gemiethet haben; später im July gehen wir in’s Seebad, wahrscheinlich nach Rügen, da mein Mann noch immer an den Nerven leidet – Du glaubst nicht, was ich oft mit ihm leide!
Deine Nachricht von Elise hat mich sehr erfreut – ich kann sie mir gar nicht vorstellen als Mutter! – wie freue ich mich Euch nächsten Winter zu sehen! wir denken Ende October oder Anfang November in Wien zu seyn. Du kommst doch auch wirklich hin? wenn Du Elisen schreibst, so sage ihr meine innigsten Glückwünsche. Ich hätte ihr gern selbst geschrieben, doch hatte mir, wie gesagt, der Doctor alles Schreiben verboten, und jetzt ist es doch eigentlich zu spät noch zu gratulieren, durch Dich geht das besser! – Mein Kleiner macht uns große Freude, das ist ein kleiner Posaunenengel geworden! die Taufe war am 6ten April, die Frege |2| war aus Leipzig dazu gekommen und mit ihr standen noch Hiller und Professor Bendemann, den wir sehr lieb gewonnen, der aber auch eben so ausgezeichnet als Mensch denn als Künstler ist. Der Kleine ist aber, trotzdem, daß Du nie Pathenstelle bei meinen Kindern vertreten willst, nie mich besuchst, nach Dir Emil genannt worden, und dies macht mir Freude. Die Anderen sind munter und fidel, die beiden Aeltesten sind mit hier in Maxen. Nun zur Beantwortung Deines Briefes! – Den Brief durch den jungen Stranzky habe ich erhalten und der Brief an Elise Gehe ist längst besorgt.
Wegen Lina hattest Du Dir wohl nicht überlegt, daß Du es ja viel näher hast, sie nach München zur Ausbildung ihres Talentes zu schicken, als nach Dresden; Frauenzimmer können doch wohl schon des Anstandes halber nicht auf die Akademie gehen, wo lauter junge Leute und viel unanständige Statuen sind. In München findet Lina gewiß einen eben so guten Lehrer, als sie hier sind. Wie gern sähe ich sie einmal wieder! sie ist nun eine Jungfrau – ich würde sie wohl gar nicht wieder erkennen! kommt sie nicht mit nach Wien? ist Deine Mutter wieder in Augsburg? – Aber, beste Emilie, was denkst Du? ich soll nach Augsburg kommen, damit Kolb einige Aufsätze über mich schreibt! nicht einen Schritt deshalb, da kennst Du mich schlecht, und nun vollends wegen Wien, wo ich mehr gekannt und |3| geliebt war, als irgendwo in Deutschland. Nein, liebe Emilie, könnte ich mich entschließen meinen Mann zu verlassen, (was aber nicht vorkommen kann) oder wäre ich noch frey, Mädchen, keine Kinder ect. dann käme ich Dich zu sehen und die lieben Deinigen, aber nie um damit Kolb über mich schreibt, – Du hast mich als Freundin nicht vergessen, wohl aber als Künstlerin, wie mir scheint. Ich nehme Dir das nicht übel, meine liebe Mila, aber ich muß Dir doch meines Herzens Meinung sagen.
Interressantes wüßte auch ich Dir nichts mitzutheilen, denn musikalisches gab es jetzt gar nichts, ich selbst spiele wenig, um mich für den ┌Winter┐ zu kräftigen, componire aber zuweilen ein wenig.
Singt Elise noch viel? das möchte ich gern wissen. und Du spielst wieder fleißig? das ist Recht von Dir; hättest Du es nur früher immer gethan, wie ich es Dir so oft sagte, daß Du doch Talent dazu habest.
Nun, meine gute Mila, sey innigst geküßt von Deiner Alten, grüße die lieben Deinigen Alle herzlich von mir und meinem Manne, und hörst Du, schreib mir bald, recht bald wieder. Adressiere nun immer nach Dresden Waisenhausstraße Nro 6.
Deine Clara.
|4| Mademoiselle
Mlle Emilie List.
Abzugeben an Herrn Dr. List
in
Augsburg.
Fr.