23.01.2024

Briefe



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ID: 21101
Geschrieben am: Sonntag 23.03.1862
 

Paris d. 23 März 1862.

Lieber Joachim,

ich bin eigentlich selbst noch ganz überrascht, mich hier in Paris zu sehen, wie sollten Sie es also nicht sein! – Erst 8 Tage zuvor, ehe ich hierher ging, entschloß ich mich. Ich bekam nämlich vor längerer Zeit einen Engagements-Antrag für 4 Soireen hier mit Garantie einer bestimmten Summe, Diese war jedoch zu gering, und so zerschlug sich die Sache. Mad. Érard schrieb mir aber, ich möge nur kommen, man wünsche es hier von Seiten aller Musikfreunde so sehr, namentlich auch die Sachen Roberts, die sich jetzt so hier verbreiten, von mir zu hören, und ich solle auf eignes Risiko Concerte geben, sie wolle schon für die materiellen Arrangements sorgen. Hiller redete mir sehr zu, Paris ’mal wieder zu sehen, lockte mich auch, und dazu kam ein langer Brief Spina’s, der mir die pecuniären Verhältnisse in Wien so trübselig schilderte, daß es Unsinn gewesen wäre, dorthin zu gehen. Ich kann übrigens nicht läugnen, daß, die Sachen Roberts hier zu spielen, mir eine besondere Freude ist, weil man mir <s> mit so großer Empfänglichkeit dafür entgegen kommt. Ich habe neulich meine erste Soiree gegeben, und die enthusiastischste Aufnahme gefunden. Das Quintett Roberts, mit dem ich anfing, wurde gleich so enthusiastisch aufgenommen, daß ich nach jedem Satze lange warten mußte, ehe ich weiter spielen konnte, und so ging es fort bis zu Ende des Concerts. Was mich auch ganz besonders freut, ist, daß die Musiker Alle so theilnehmend und herzlich gegen mich sind, und von ihnen wird mir doch die Genugthuung, nicht nur meine virtuosischen Leistungen anerkannt zu sehen, deswegen wäre ich auch wahrlich nicht hierher gegangen. Sonnabend d. 29ten gebe ich meine 2te Soiree, die mir, wie Alle glauben, pecuniär mehr bringen wird, als die Erste, die sich nun erst herumspricht. Für den 6ten April bin ich eingeladen im Conservatoir Beethovens Es dur Concert zu spielen, was viel Redens unter den Leuten macht, weil fremde Künstler selten, und meist nur spielen, wenn sie schrifftlich darum einkommen. Ich habe natürlich keinen Schritt dafür gethan, und war kaum 3 Tage hier, als es schon entschieden war. Ich hätte so gern Roberts Concert gespielt, jedoch reden mir Alle, die das einseitige Publikum des Conservatoir kennen ab, gerade ein erstes Mal, wo ich dort spiele, etwas Neues durchsetzen zu wollen. Das kann nun überhaupt nie meine Absicht sein – es kommt doch Alles mit der Zeit! – Was ich mit England beschließen soll, weiß ich wahrhaftig nicht! sagen Sie mir nur noch welches die 6 Engagements sein würden, und ob im Verlaufe des Monat Mai? ich habe übrigens keineswegs von Ihnen verlangt, daß Sie mir die 10–12 Engagements verschaffen sollten, noch weniger daran gedacht, daß die engl Musiker sich deshalb zu einem feierlichen Meeting besprechen sollten, ich dachte vielmehr, es könnte sich das zufällig machen, wenn Sie den Einen oder Anderen sprechen, war daher Ihre Aeußerung recht unartig. – Von Bencon’s erfahre ich inzwischen vielleicht auch, ob sie mich aufnehmen könnten. Ich soll im Juni wahrscheinlich nach Karlsbad zur Cur, daher ich nur den Mai für London bestimmen könnte. Meine Schwester haben Sie wohl schon gesehen? Sie haben wohl schon sehr viel zu spielen? die Musical Society soll ein sehr gutes Orchester, das Beste, in Londen, haben? hätte ich doch Ihr Concert wieder ’mal hören können! darnach habe ich so oft förmliche Sehnsucht! <hatte> heute hatte ich sie übrigens auch wieder ’mal nach Beetho’s Concert von Ihnen. Ich hörte es im Conservatoir von Maurin. Sie kennen Ihn, er spielt elegant, aber wie klein für dies Concert! mir war ganz wehmüthig, daß Sie es nicht waren! ich glaube, ich höre es nun nicht noch ’mal von einem Anderen, es greift mir an die Seele. Sie gehen also wirklich nicht wieder nach Hannover? wo wird man Sie nun nächsten Winter suchen müssen? wie stiebt doch Alles so auseinander, wird Alles so anders, und immer einsamer man selbst! manchmal meine ich, ich wäre kälter geworden, möchte mich darüber freuen, da plötzlich bricht das alte Herz wieder mit aller Gewalt hervor, und schrecklich traurig wird mir zu Muthe.
Adieu, lieber Joachim. Schreiben Sie mir bald.
Ihre
Cl. Sch.

Marie grüßt sehr.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Paris
  Empfänger: Joachim, Joseph (773)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 2
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Joseph Joachim und seiner Familie / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Klaus Martin Kopitz / Dohr / Erschienen: 2019
ISBN: 978-3-86846-013-1
661ff

  Standort/Quelle:*) D-Zsch, s: 6432-A2
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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