Frankfurt, den 8ten Januar 87.
Meine lieben Fellingers!
Wie sehr stehe ich in Ihrer Schuld, soviele liebe Briefe unbeantwortet gelassen zu haben. Aber Sie wissen es ja wie sehr kärglich mir die Zeit zugemessen ist, und so muß ich viel Liebe und Wohlwollen scheinbar unerwiedert lassen – aber nur scheinbar, denn, wahrlich, ich gedenke Ihrer stets mit den wärmsten Gefühlen und dem Sehnen Sie doch einmal zu sehen! Es ist ein Jammer, |2| daß man die Freunde, die Einem so lieb sind, stets entbehren muß. Leider ist nun auch das Wien so weit entfernt, viel zu weit zu einem kurzen Besuch, und lange kann ich ja im Winter nicht von hier fort. Sie haben über unser Geschick bis zum Herbst von Anna Franz gehört. Allerdings haben wir viel von der Hitze in Meran gelitten, flohen schon <von> nach einigen Tagen von dort ins Pusterthal, mußten nur leider sehr bald zurück nach München,3 wo, wie Sie wohl gehört, Hildebrand meine Büste machte. In München wurde mir leider |3| Eugenie sehr krank, nachdem wir meinen Geburtstag dort noch recht gemüthlich gefeiert hatten. – Sie lag hier noch einige Wochen und erholt sich recht langsam (es war ein verschleppter Lungenkartharr [sic]) Sie können denken mit welch großer Sorge der Winter für uns somit begann. Zu dieser kam nun auch noch die Sorge um meinen Sohn in Berlin, der wieder Monate an seinem Gelenkrheumatismus lag. Sie wissen er hat eine Frau und 6 Kinder, können also wohl meinen Kummer und Existenz-Sorge ermessen – man kann garnicht das Ende absehen, und ich muß nur |4| immer trachten, mir die düstersten Gedanken zu verscheuchen, die noch besonders dadurch genährt werden, daß der Arme in sehr unglücklicher Ehe lebt, weßhalb wir auch sein ältestes Töchterchen bei uns haben und ganz erziehen lassen. – Ich theile Ihnen dies so vertrauungsvoll mit, weil ich Ihre Theilnahme für mich kenne & es mir wohlthut mich gegen solche Freunde auszusprechen. Neulich hatte ich von Wien aus ein sehr annehmbares Anerbieten für fünf Conzerte – wie schwer wurde es mir da nein zu sagen; wie lebhaft erinnerte ich mich Ihrer letzten, abermals so freundlichen Einladungen, |5| Einladungen, womit Sie mir beim ersten Lesen gleich das Herz so schwer gemacht hatten. Vor einigen Tagen hatten wir eine rechte Täuschung, die Soldat sollte hier im Museum spielen & telegraphirte ab, weil sie das Scharlach-Fieber bekommen. Seit mehreren Jahren schon hatte ich <v>bei dem Comitté immer gebohrt, daß man sie doch endlich einmal engagiren solle, nun geschieht es und sie wird krank. Ich hatte mich schon recht gefreut auf das liebe Mädchen.
Fräulein Baumeier schrieb mir zum neuen Jahr so freundliche Zeilen, sie soll mir aber verzeihen, wenn ich ihr nur durch den inliegenden Gruß danke. |6| Die Büste von Hildebrand, das muß ich Ihnen doch noch sagen, ist herrlich gelungen, abgesehen von der Ähnlichkeit, wird sie von allen die sie sehen, als ein Meisterwerk bewundert. – Sie können denken, wie das meine Töchter, für die ich dieselbe hatte machen lassen, freut.
Nun will ich aber schließen, <so|viel> so viel ich auch noch auf dem Herzen hätte. Seyen Sie mit all Ihren Lieben aufs wärmste gegrüßt, sagen Sie Ihrem lieben Mann, wie herzlich mich seine zwei Gratulationsbriefe gefreut, und bleiben Sie gut ◊1Ihrer
getreuen
Clara Schumann.