23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 21007
Geschrieben am: Dienstag 21.01.1896
 

Frankfurt a/M d. 21 Jan. 96.

Liebste Frau Fellinger,

was dachten Sie wohl, daß ich Ihnen noch nicht ’mal für Ihre treuen Wünsche dankte, eben so auch Ihres lieben Mannes Karte unbeantwortet ließ. Es kam aber so Vieles, Freud’ und Leid, was mich abhielt! ich war die ganze Zeit her so gedrückt im Gemüthe, und bin es noch, |2| so daß ich mich zu einem Briefe förmlich aufraffen muß. Erst Mariens langes Leiden, 10 Wochen lag sie zu Bett, dann kam Eugenie das war ein Lichtstrahl zum Weihnachtsfest, dann folgten aber allerlei Haus-Miseren, mein Leiden will auch gar nicht weichen, und nun, nachdem Eugenie uns verlassen, bekamen wir vor 8 Tagen die Nachricht, daß meinen Schwiegersohn auf einer Jagdparthie (8 Stunden von hier entfernt) ein Schlaganfall |3| getroffen, zwar ein leichter, immerhin aber ernst genug. Elise reiste sofort hin, er liegt in einem Jägerhause im Walde, Alles, Aerzte, Wärter ect. mußten 1 1/2 Stunde weit hergeholt werden, meine arme Elise reiste allein dahin mit dem Herzen so voll furchtbarster Unruhe. Wir sind natürlich in fortwährender Correspondenz, die Jungen hier allein mit einem Fräulein, das aber zuverlässig ist, und ersehnen den Moment, wo er hierher zurückgebracht |4| wird; es ist eben doch entsetzlich, in solcher Prüfungszeit so weit voneinander entfernt zu sein. Die Aerzte geben die beste Hoffnung, ich fürchte aber Sommerhoff wird die Angst vor einem neuen Anfall nie mehr los werden. Ach, wie schwer ist doch das Leben oft, was Alles muß so ein armes Menschenherz tragen! – Eine herzliche Freude hat mir aber Ihr lieber Brief mit den reizenden Berichten gemacht! daß Brahms Ihnen so in alter Freundschaft den Weihnachtsabend zu einem |5| einem [sic] festlichen machte, freute mich innig. Recht kann ich mich in Ihre Empfindungen, diesmal ohne die Söhne, versetzen, schwer, gar schwer trägt sich die Trennung von lieben Kindern und gerade, wenn sie Einem viel sein können, muß man sie hergeben!
Eine Bitte möchte ich noch schließlich aussprechen, ich finde sie freilich sehr unbescheiden, aber Ihr gütiges Herz kennend, wage ich sie doch. Ich möchte nämlich |6| so gern, gelegentlich, wenn es Ihnen gerade ’mal paßt, noch ein paar Photographien von mir (Nro 1 bezeichnet) haben, Alle finden sie so ausgezeichnet, und Jedes der Kinder u. Enkel möchte Eines haben. Sie wissen wohl es ist das sitzende (ganze Figur)? –
Nun drücke ich Ihnen und Ihrem lieben Manne die Hand zum neuen Jahr – möge es Ihnen Allen Gesundheit bewahren, und an den Söhnen Freude finden lassen.
In herzlich treuer Freundschaft
Ihre Clara Schumann

Marie ist wieder Stundenweise auf, es geht täglich besser.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Frankfurt am Main
  Empfänger: Fellinger, Maria (443)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 4
Briefwechsel Clara Schumanns mit Maria und Richard Fellinger, Anna Franz geb. Wittgenstein, Max Kalbeck und anderen Korrespondenten in Österreich / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Klaus Martin Kopitz, Anselm Eber und Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2020
ISBN: 978-3-86846-015-5
329ff

  Standort/Quelle:*) D-Zsch, s: 11809-A2
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



Wir verwenden Cookies, um Ihnen den bestmöglichen Service zu gewährleisten (Mehr Informationen).
Wenn Sie auf unserer Seite weitersurfen, stimmen Sie bitte der Cookie-Nutzung zu. Ich stimme zu.