23.01.2024

Briefe



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ID: 20715
Geschrieben am: Dienstag 09.02.1864 bis: 21.02.1864
 


Riga d. 21. Sept. 1863. Sonntag.
Ich wollte Dir, mein Lieber, erst von Petersburg aus schreiben, um Dir doch mitteilen zu können, daß ich das Hauptziel erreicht, es dauert mir aber zu lange – ich habe Dich zu lieb, als daß so lange Pausen mir nicht schmerzliches Entbehren wäre. Warum empfindest Du, mein liebster Freund, dies nicht auch wie ich, wenn ich Dir doch die liebste Freundin bin? – wie selten bereitest Du mir die Freude eines Briefes, und auf dieser so schweren Reise! – in jedem Briefe hoffte ich einen von Dir zu finden und immer vergebens! –
Deinen Brief nach Königsberg erhielt ich an einem schlimmen Tag, meinem 2ten Concerttag, wo ich recht sehr unwohl geworden war, und nicht glaubte am Abend spielen zu können. Ich raffte mich aber auf, kleidete mich zum Concert an, wobei ich immer mit Ohnmachten kämpfte und spielte merkwürdiger Weise so glücklich wie jemals, ich behielt die volle Kraft bis zu letzten Note, in meinem ganzen Leben erinnere ich mich aber auch nicht solch’ einer geistigen Anstrengung u Anspannung. Leider nur bin ich seitdem keinen Tag wieder ganz wohl gewesen, und das drückt recht schwer auf mir. Von Königsberg hierher, 26 Stunden hin-tereinander reisten wir bei furchtbarer Kälte, gegen die nichts schützte, und gleich am Anfang der Reise wurde ich wieder so krank, daß wir gewiß unterwegs geblieben wären, wenn es nur in diesen Spelunken zu bleiben möglich gewesen wäre, ich mußte also in diesem Zustande 20 Stunden aushalten, kam aber so elend hier an, daß ich gleich zu Bett mußte und Tage lang zubrachte ehe ich mich nur etwas erholte, und so bin ich noch nicht wieder wohl. Hier bin ich aber bei lieben Menschen, die mir Alles thun, was sie nur können. – Das ist ein Glück! Zwei volle Concerte habe ich gegeben, in Königsberg drei, gehe morgen nach Mitau zu einem Concert, gebe dann noch ein drittes hier, und dann gehts endlich direct nach Petersburg. – nochmals eine schreckliche Tour von 24 Stunden. – ich denke dort am 27 – oder 28ten einzutreffen. Du wunderst Dich gewiß weshalb ich mich im Lande so lange herumtreibe, aber in Königsberg erfuhr ich, daß Ostern in Russland erst am 1ten Mai (unsers Styl’s) fällt, mir also noch viel Zeit zur Beginn der Saison, und verlängert dies nun auch meine Reise um vieles, so mußte mir es doch lieb sein, da die Concerte in den Provinzstädten mir doch die Reisekosten vollkommen decken, während in Petersburg jetzt noch ich nichts hätte anfangen können, aber viel Geld verzehrt hätte.
Ich habe in Königsberg und hier die freundlichste Aufnahme gefunden, und, was mir vor allem erfreulich war, überall die begeisterten Anhänger Roberts. Freilich ist diese Freude immer mit dem Gefühle der Wehmut gemischt, denn immer muß ich ja daran denken, wie wir uns vor 20 Jahren mit dem Quintett, Fantasiestücken etc hier durchgekämpft haben, während ich jetzt nur immer zu kämpfen habe gegen die Enthusiasten, die nichts anderes hören wollen.
Wie tief überhaupt mich die Erinnerungen an damals hier immer und immer berühren, kannst Du Dir denken, und glaube mir, ich habe recht könnte. Könnte ich Dich manchmal nur zur Seite haben, welch ein Trost wäre das!
Wie geht es Dir, mein geliebter Freund? wie lebst Du jetzt? – Hast Du einen Erard erhalten? – wo wohnst Du nun? – Die Concerte kommen also nun doch zu Stande? und wann? – welche Programme hast Du? – 600 frcs. ist aber recht wenig für die Mühe! es wäre aber doch ein Anfang! Wie ist das letzte Quartett von Brahms abgelaufen? – Fährst Du noch immer jeden Sonnabend zu Moser’s? wie geht’s dem armen Rieter? grüße ihn doch!
Ach, ich weiß so wenig von Dir, und bin doch so viel im Geiste bei Dir! Fühltest Du das doch, Dein liebes Bild hat mich sehr erfreut – ich hab’s recht freundlich angesehen und dann in mein liebes kleines Buch gesteckt. Könnte ich Dir nur auch mal ein recht gutes von mir schicken, sie gelingen aber alle nicht, ich erwarte nächstens welche von Königsberg sind aber auch nicht besonders. Habe ich Dir auch geschrieben, daß Levy die Stelle in Carlsruhe angenommen? – Leider nur bleibt Kalliwoda mit ihm. Ueberhaupt bangt mir doch etwas für Levy, ob ihm diese sehr viel abhängigere Stellung behagen würde? – Hiller erzählte mir neulich sehr viel von seiner jetzigen Stellung und welch schönen Wirkungskreis er sich dort geschaffen, und wie er von Allen verehrt wird. Für Dich freut es mich sehr, daß Du ihn nächsten Sommer findest, freilich so ungestört, wie vorigen Sommer, wird es wohl nicht in Baden sein können, auch kommt er erst im August.
Hast Du nicht neulich in Basel die Viardot gehört? – von Leipzig hörte ich leider, daß sie nicht gefallen hat! Das ist nun wieder mal Eine, die nicht aufhören kann, und hätte es doch gar nicht nöthig zu singen, denn sie bleibt doch immer die von Geist und Genialität übersprudelnde Frau. Ich habe jetzt eine sehr interessante Biographie von der Schröder-Devrient von Wolzogen gelesen, und hat sie mich eben so tief erregt wie interessiert – ich finde in so vielen ihrer Züge meine eigene Natur, wenn sie mir auch in Vielem sehr überlegen war. Sie war doch eine großartige Erscheinung und habe ich beim Lesen dieses Buches meine schönsten Jugenderinnerungen, ihre Kunstleistungen, wieder durchlebt und so recht jeden genialen Moment in ihren Rollen wieder genossen. Nur verletzt mich bei aller Verehrung, die Wollzogen ihr als Künstlerin zollt, oft der Ton, in dem er ihrer als Charakter gedenkt! –
Es ist viel Wahres in dem was er sagt, aber er könnte es milder gesagt haben, doch, ich erzähle Dir was Dich vielleicht garnicht interessiert! –
Soeben erhalte ich von all den Kindern sehr gute Nachrichten – Julien gefällt es jetzt sehr in Düsseldorf, aber auch sie gefällt sehr, und das macht mir etwas bange. – Elise macht Rundreise als Lehrerin, mal 4 Wochen da – dann wieder dort. – Jetzt ist sie schon am 3ten Orte und wird überall mit Güte überschüttet. Ach, wären wir nur erst alle wieder vereint in Baden, und Du, mein HerzensFreund bei uns! Doch, da heißt’s noch lange Geduld!
So leb’ denn wohl für heute. Ich möchte bitten um recht baldigen Brief, und doch auch wieder nicht bitten müssen. Schreibe mir zu guter Stunde und laß mich’s fühlen, daß Du mich lieb hast, daß ich Dir bin zu allen Zeiten, von ganzer Seele Deine Clara.
Petersburg Adr. Bei Frau Stein.
Sicherheitshalber schreibe ich heute unfrankiert.




  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Riga
  Empfänger: Kirchner, Theodor (821)
  Empfangsort: Zürich
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 10
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Theodor Kirchner, Alfred Volkland und anderen Korrespondenten in der Schweiz / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Annegret Rosenmüller / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-021-6
217-223

  Standort/Quelle:*) Autograph verschollen. Abschrift in A-Wgm: Bibliothek Renate und Kurt Hofmann, Briefe von Clara Schumann an Theodor Kirchner, 1. Kopie (Reinhardt), Bd. 2, S. 97–104, Nr. 49.
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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