23.01.2024

Briefe



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ID: 20691
Geschrieben am: Samstag 08.11.1862
 

Frankfurt. d. 8 Nov. 62.
Jetzt habe ich 2 Briefe von Ihnen vor mir liegen liebster Freund – könnte ich darauf antworten wie ich es möchte! ich bin aber wahrlich jetzt wie ein gehetztes Wild von früh bis Abend. Ein Glück ist’s, daß die Seele so ihr eigenes Kämmerlein hat, dadrinnen ruht, unberührt von außen, tief was dem Herzen das Theuerste ist. Dessen gedenke ich immer, und möchte diesen Schatz im Innersten recht fest halten können! Das ruht so aus und giebt mir einzig und allein immer wieder Kraft nach Außen zu wirken. Sie sagten: Sie möchten mir etwas sein können, mir Freude bereiten, mich glücklich sehen. – Bleiben Sie mir recht gut, lieber Freund, so glücklich, wie ich es überhaupt noch werden könnte, könnte ich es nur durch einen Freund, der mir treu und innig anhängt, es mich aber auch immer fühlen lassen müßte, daß ich ihm wirklich theuer bin. – Sie haben mich manchmal erheitert, dauerte es auch nur kurz, wie Sie neulich äußerten, so war es, weil ich dann der nahen Trennung gedachte, die mir schwer auf’s Herz fiel.
Es ist so traurig für mich, daß ich nie recht ungetrübt die Gegenwart genießen kann weil ich mir immer die Zukunft so finster ausmale. Ich sehe mich dann alt und schwach, verlassen von Allen, weil ich Niemanden [sic] mehr etwas leisten kann, und den Kindern, die dann wieder ihre eigenen Interessen verfolgen, zur Last [sic]. – Oft ist mir, als sei auch alles Vertrauen zu den Menschen in mir gestorben, und doch ist es nicht so – gerade jetzt habe ich es recht neu, lebendig wieder in mir erwachen gefühlt. Erscheine ich Ihnen wohl mal bitter so glauben Sie mir daß nicht das Unglück daran Schuld ist – im Gegenteil dies hat in mir das Gefühl nur noch für Andere gestärkt, aber das Schwerste was ich durch Menschen selbst erfahren, das hat mir die Seele gebeugt! doch darüber einmal mündlich, wenn wir uns wiedersehen. Könnte ich Ihnen doch jetzt helfen und auspacken, Alles im neuen Logis recht wohnlich Ihnen machen! so kann ich garnichts für Sie thun, als Ihnen zuzusprechen, alles so muthig wie möglich anzufassen! Ich weiß, solch ein Anfang ist schwer, aber sind Sie mal über die erste Zeit hinweg, so wird gewiß das Gefühl der Befriedigung, einen männlichen Schritt gethan zu haben, Ihnen alles erleichtern.
Daß die Zustände in Zürich faul sind kann ich mir denken, daß sind sie aber überall wo nicht Einer lebt, der, als Musiker bedeutend genug, durch energisches Handeln das Publikum zu sich heraufzieht und dadurch das wiedrige Gelichter unschädlich macht. Ich glaube sicher, Sie können das, natürlich nach und nach, denn erzwingen kann man nichts, das se¬hen wir an Stockhausen, fangen Sie z. B. mit einem kleinen Chor an, der vergrößert sich bald, dann geben Sie einmal eine Aufführung eines neuen Werkes, z. B. ich will sagen: Der Rosenpilgerfahrt [sic] (es ist nicht mit Orchester, so am Klavier[)], diese wird von Ihnen wunderschön einstudiert sein, gewiß die allgemeine Teilnahme finden, und dieser Aufführung werden dann andere, größere folgen. Dabei suchen Sie für Ihren Verein das Interesse einiger reicher Leute, sind es auch blinde Enthusiasten, zu gewinnen, behalten Sie Ihre Verachtung für sich, oder sprechen Sie diese nur gegen mich aus, so gehts sicher bald immer mehr u mehr nach Ihrem Wunsche. So fiel mir neulich ein, versäumen Sie nicht zu lange bei Wesendonc’s Besuch zu machen – diese könnten Ihnen gewiß nützen, Künstler [sic] wird es ja eigentlich garnicht schwer gemacht sich die Leute zu gewinnen! Laden Sie Frau Wesendonc ein Ihrem Verein beizutreten, das schmeichelt ihr und gewinnt Ihnen außer der menschlichen Stimme noch eine klingende.
Da schafft man dann Musikalichen [sic] für an; ich kann Ihnen auch zuweilen damit aushelfen, z. B. von Roberts Sachen, Liedern für Chor etc. Ich könnte noch immer weitere Pläne für Sie machen, doch will ich Sie nicht damit anwiedern. Jetzt das Instrument betreffend: Denken Sie wie es mir ergangen, ich hatte mit Klems verabredet mir das Instrument, welches er zu dem Concert für mich hergeschickt, gleich in die Schweiz an den bewußten Herrn senden zu wollen. Es kam u war so mittelmäßig, daß ich die Verantwortung für Sie unmöglich übernehmen konnte, und es heute zurück schicken mußte, selbst es gar nicht wieder gebrauchen kann. Ich habe gestern unter wahrer Todesangst das Concert überstanden, denn kein Triller sprach ordentlich an, dabei blieb der Ton im Discant gänzlich weg, wollte ich ihn nur etwas stärker haben. Gott weiß, wie Klems solches Instrument zustande brachte. Ich muß ihm nun schreiben und bitte Sie den Herrn zu fragen, ob er nicht bis Januar warten kann? Bis dahin soll Klems einen Flügel machen, damit ich ihn probiere, da ich im Januar wieder nach Düsseldorf komme. Sie glauben nicht wie unangenehm mir das ist auch für Sie, aber was ist da zu machen? – ich konnte Ihnen doch nicht solch Instrument schicken, das wäre ja gewissenlos. Es sollen hier einige Instrumente von Streicher stehen, soll ich mir diese einmal anse¬hen? bitte, sagen Sie mir so bald als möglich Antwort, bis Freitag bin ich noch hier. Donnerstag gebe ich mit Stockhausen eine Soireé und habe heute in der Angst um ein Instrument nach Paris telegraphiert, welches ich dann weiter mit mir nehme, da Klems kein anderes fertig hat. Was ich gestern wegen des Klavieres ausgestanden, kann ich nicht beschreiben, es war entsetzlich und, bin ich heute ganz elend davon. Sonnabend spiele ich in Carlsruhe, dann geht’s gleich wieder über hier nach Hamburg. Also bis Freitag Adr. hier; TaunusStraße No 6. bei Herrn Dr. Aloys Schmidt. – jetzt, hören Sie wohl gleich alle tausend Fingerübungen, er ist aber ein lie¬ber alter Mann trotzdem. Bis Montag dann in Carlsruhe bei Frau Alwine Schroedter: Weiteres hören Sie inzwischen schon wieder.
Schreiben Sie mir, ob Sie sich schon etwas wohnlich eingerichtet ha¬ben? ist auch das Logis nicht kalt? und haben Sie sich um das Bett eine spanische Wand geben lassen? versäumen Sie das ja nicht, damit Sie von dem kalten Vorsaal keinen Zug bekommen. Wie haben Sie sich mit dem Mittagessen eingerichtet? gehen Sie in’s Hôtel? Es ist mir so lieb, daß ich das Logis gesehen, so weiß ich Sie mit meinen Gedanken doch zu finden! – Warum sagen Sie „Sie müßten jetzt in Winterthur unter viel ungemüthlicheren Umständen Stunden geben, als bisher?[“] – das bezieht sich doch wohl nur auf das wohnen? – wo steigen Sie immer ab? – und wie ist es mit dem Herrn Geistlichen geworden? – behalten Sie die Stelle? – Können Sie in Winterthur nicht nur die besten Schüler behalten, und diese in 2 Tagen befriedigen? und nach u nach, je besser es sich gestaltet in Zürich, diese ganz lassen, oder die allerbesten, davon doch so Viele nicht sind, in einem Tage befriedigen? Stockhausen können Sie am besten jetzt durch mich schreiben weil ich auch in Hamburg mit ihm zusammen wirke. Er schickt Ihnen das Pedal sehr bald, wie er mir sagte. Aber Ihre genaue Adresse darum bitte ich, ich schicke nicht gern so auf’s Geradewohl, es ist recht ungemüthlich zu denken daß Briefe leicht 3 Tage liegen bleiben, wenn Sie in Winterthur sind!
Jetzt muß ich aber schließen, Alles Gute Ihnen theurer Freund, von ganzer Seele wünscht Ihnen Ihre Cl. Schumann.
Die Kinder Marie u Julie grüßen Sie, Marie reist jetzt wieder mit mir, – allein kann ich’s unmöglich.






  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Frankfurt
  Empfänger: Kirchner, Theodor (821)
  Empfangsort: Zürich
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 10
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Theodor Kirchner, Alfred Volkland und anderen Korrespondenten in der Schweiz / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Annegret Rosenmüller / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-021-6
134-138

  Standort/Quelle:*) Autograph verschollen. Abschrift in A-Wgm: Bibliothek Renate und Kurt Hofmann, Briefe von Clara Schumann an Theodor Kirchner, 1. Kopie (Reinhardt), Bd. 1, S. 83–90, Nr. 26.
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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