Guebweiler d. 21. Sept 1862.
Lieber Freund, es ist mir so um’s Herz, als müßte ich Ihnen schon heu¬te einen Gruß von hier senden, und ich denke, es freut Sie auch, wenn es auch kein freudiger Gruß sein kann, denn mir ist unsäglich traurig zu Muthe.
Welch ein Abstand, eben getrennt von einem so lieben Freunde, zu fremden Menschen und in ein fremdes Land zu kommen! ein Glück, daß heute Alle fort sind, und ich gestern genug Grund fand mich gleich zurückziehen zu dürfen. Von Morgen an will ich dann recht an die Arbeit, das giebt am ersten wieder Muth. Der Flügel von Paris kam, denken Sie wie sonderbar, gleichzeitig mit mir an; er scheint mir sehr schön – spielen konnte ich heute nicht.
Wir fanden gestern Frau Streich an der Eisenbahn u die Hausbewohner in großer Aufregung, es war Abends Quartett, Julius Stockhausen sollte singen, war aber auf die Jagd gegangen und Abends 6 Uhr noch nicht zurück und hatte die Lieder, die er singen wollte, noch nicht mit seinem Bruder probiert. Nun schließlich ist er doch gekommen und es soll Alles gut gegangen sein. Ich war nicht im Concert u sah ihn daher erst heute.
Ihr Brief belustigte ihn sehr, er hat aber in der Winterszeit so viel vor, daß ich kaum glaube, daß er die Einladung nach St Gallen und Genf annehmen wird, was mir leid thut. Wir mußten heute morgen mit in seine Quartett Uebung gehen, ich hätte es ihm nicht abschlagen mögen, dabei machte ich mir doch Vorwürfe, daß ich es nicht lieber thun konnte. Von Raimond Härtel fand ich hier schon eine Antwort, die, wenn auch für den Moment nicht günstig, doch für später hoffen läßt. Die Stelle ist nämlich gleich wieder besetzt worden und zwar wie Sie aus beifolgenden sehen, durch Avancement, es waltet also kein unglücklicher Zufall, sondern der ganz natürliche Gang der Sache. Ueberlegen Sie mal, ob’s nicht wohl klug wäre, Sie schrieben selbst Härtel einige Worte, daß Sie von mir erfahren hatten etc. ich schrieb schon neulich ganz wie aus innerem Antriebe nur auf Anlaß einer von Ihnen einmal früher gethanen Aeußerung gegen mich, ich hielts für besser so u er möge doch bei der etwaigen Pensionierung Geisler’s Ihrer gedenken. Ich denke die Stelle wäre es wohl werth – mit 700 Thl. jährlich können Sie mit einiger Sparsamkeit? – beinahe schon leben, geben Sie aber einige Stunden dabei, recht gut. Darum scheuen Sie nicht die Mühe des Schreibens, ich thäte es gern für Sie, aber ich denke im¬mer in wichtigen Dingen „selbst ist der Mann!“ und jetzt können Sie sich ja so gut auf meinen Brief berufen. Mit Frau Riggenbach s Brief ist es eine lange Geschichte, der ist vom Rigi nach Luzern „Hotel Rigi“ gegangen, von dort auf die Post zurück und wahrscheinlich von dort wieder zurück. Ich will das Frau Riggenbach schreiben. Wie war es doch so gemüthlich in Bipp gegen hier, wie liebenswürdig beide Riggenbach’s gegen uns waren u wir auch gegen sie? – denn, wenn wir musicierten thaten wir es nicht eigentlich für uns? Frau R. kam mir oft so still vor, daß mir es weh that, ich dachte mir manchmal, sie fühlt sich zurückgesetzt. Denken Sie, heute scheint hier die Sonne in vollem Glanze, der Himmel war gleich am frühen Morgen so blau, daß ich fast eifersüchtig war, daß er uns in Bipp nicht so schien. – ich hätte Ihnen wenigstens so gern ein Stückchen blauen Himmel auf Ihren Gang hingezaubert. –
Höre ich bald von Ihnen? Begegnen wir uns vielleicht? wie freute mich das! Jetzt leben Sie wohl – mit meiner Schrift müssen Sie heute doppelte Nachsicht haben, manchmal geht es garnicht.
Die Kinder grüßen schönstens. Gedenken Sie meiner als Ihrer getreuen Freundin
Clara Schumann.