23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 19907
Geschrieben am: Samstag 19.02.1881
 

Liebe Frau Schumann.
„Wat sall Unsereiner dorbi dauhn“, sagt Jung Jochen –
Da bleibt mir Nichts übrig als von Saison zu Saison zu hoffen. Dem Orchester gegenüber bin ich freilich in sonderbarer Lage; die glauben am Ende, ich renommire nur immer mit Ihnen. Doch, wenn Sie in England recht vergnügt sind, und es Ihnen recht sehr gut geht, was ich von Herzen wünsche, dann will ich weiter nicht murren.
Von mir kann ich Gutes berichten, zumal was meine Gesundheit betrifft. Kürzlich war ich 14 Tage auf Sängerinnen-Jagd im Norden, war auch 2 Tage in Berlin, aber so beschäftigt, daß ich nicht einmal Bargiel besuchen konnte. Bei Frau Joachim wurde ich nicht angenommen – natürlich, denn damals war gerade die Sache auf dem Siedepunkte. Wie freue ich mich für J., daß Alles wieder soweit geordnet ist. Ich habe kein Urtheil über das Vorgefallene, denn die Einen nehmen für Frau J., die Anderen für ihn Parthei, und Jeder stellt die Dinge in einem anderen Lichte dar. Nur über Simrock’s Verhalten waren Alle einig. Das muß ein sauberer Herr sein! – Eben komme ich von Fiedler’s. Die Frau sieht recht schlecht aus, ist seit Anfang Dezember leidend. Jetzt behaupten die Aerzte, soll endlich das Stadium der Reconvalescenz eingetreten sein. Wir waren sehr erregt von einem schauderhaften Vorgang, der gestern bei einer von den hiesigen Künstlern veranstalteten Maskerade sich ereignet hat. Das Fest hieß: eine Reise um die Welt; der Saal war in etwa 20 kleine Räume abgetheilt, deren Jeder eine Kneipe in fremdem Lande vorstellte. U. A. war eine Eskimo-Höhle da, die als Eskimos verkleideten Maler hatten Nichts an, als etwas Werg (Hanf), Einer fing Feuer, man sagt durch eine Cigarre, der Andere wollte löschen, wurde aber gleichfalls vom Feuer ergriffen – die ganz Höhle fing an zu brennen, die Feuerwehr löschte rasch, aber bis jetzt sind 7 ganz junge Leute an ihren Wunden gestorben, und viele Andere sind noch in Behandlung. Ich war während des ganzen Vorganges in einer im Souterrain befindlichen Restauration; Fiedler war schon vorher weggegangen; es soll ein schauderhafter Anblick gewesen sein. Die ganze Stadt trauert um die armen Opfer; einer der Gestorbenen war der begabteste Bildhauer der Akademie. Der jähe Uebergang von ausgelassener Tollheit zu furchtbarem Ernste wirkte ganz schrecklich. Es steckt mir noch in allen Gliedern. –
Denken Sie wohl in England einmal an mich, und schicken mir eine Karte? Geht auch Frl. Eugenie mit? Daß Frau Elise kommt, freut mich herzlich für Sie und sie. Hoffentlich werde ich sie auch sehen können. Mein College Fischer bewährt sich sehr gut. Er dirigirt Alles, was ich nicht dirigiren mag, will Nichts weiter als arbeiten. Mit ihm werde ich sicherlich niemals einen Conflict bekommen. Persönlich mag ich ihn sehr gern. Er ist etwas schwerfällig, unpolirt, aber der Kern ist gut.
Also Glück auf zur Fahrt! Kehren Sie gesund und heiter wieder zur Freude Aller derer die Sie lieb haben, z. B. Ihres getreulich ergebenen
Hermann Levi.

München. 19.2.81.

  Absender: Levi, Hermann (941)
  Absendeort:
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 5
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Franz Brendel, Hermann Levi, Franz Liszt, Richard Pohl und Richard Wagner / Editionsleitung: Thomas Synofzik, Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik, Axel Schröter und Klaus Döge / Köln: Verlag Dohr / Erschienen: 2014
ISBN: 978-3-86846-016-2
847ff.

  Standort/Quelle:*) D-Zsch, s: 10623,123-A2
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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