Bern, d. 22. Juli 1894.
Hochverehrte Frau!
Im Interlakner Fremdenblatt habe ich Sie mit Freuden gefunden; auch kam dieser Tage von Brahms eine Postkarte mit dem Auftrag, ich solle Sie grüßen. Wollen Sie die beiliegende litterarische Kleinigkeit als einen solchen |2| Gruß auffassen, der auch Ihre Töchter angeht?
Persönlich kann ich einstweilen meine Aufwartung nicht machen; meine l. Frau und ich gehen gegen Ende der Woche zu Fuß ins Wallis, ins Einfischthal (Zinal5 u. s. w.). Aber bis nach dem 15ten August hoffen wir zurück zu sein. Können wir Ihnen noch vor unserer Reise oder |3| dann nachher in Bern etwas besorgen, so bitte ich Sie sehr, ganz über uns und unser Haus zu verfügen. Letzteres ist <es> auch in unserer Abwesenheit nicht verlassen. Mein jüngerer Sohn u. meine Tochter Johanna vertreten Papa u. Mama. (Ihre Ferien kommen dann später.)
Ich hoffe und wünsche sehr, daß Sie sich in Ihrem jetzigen Aufenthalt wohl fühlen; wenigstens thut die Schweiz daneben mit dem Wetter |4| alles Mögliche, um der Gunst würdig zu sein, die Sie ihr immer wieder aufs neue zuwenden.
Meine liebe Frau empfiehlt sich Ihnen und den lieben Ihrigen aufs herzlichste. Wie oft in diesem Winter haben wir Ihres spätsommerlichen Besuches vom vorigen Jahr gedacht und der reinen herzerwärmenden Güte, die von Ihnen ausstrahlt u. einen Glanz ewiger Jugend um Sie verbreitet. Es ist gut, daß der Briefbogen hier zu Ende geht, sonst würde mit einer wahren Liebeserklärung schließen
Ihr Sie verehrender
J. V. Widmann
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