Schmiedeberg 30 July 77
Theure verehrte Freundin
Welche große Freude war uns heut Ihr lieber Brief u wie fühle ich Ihnen nach welche Herzensbefriedigung es für Sie ist, die liebe prächtige Tochter in einem Hafen ächten Glückes geborgen zu sehen, für sie eine sichere Zukunft hoffen zu dürfen, soweit menschliche Voraussicht reicht Alles gut u beruhigend heißen zu können. Ich bin ja nicht so unbedingt der Ansicht dß allein in der Ehe das Glück des Lebens liegt u daß ein weibliches Wesen nicht auch unverheirathet viel Glück u nützlichen Lebensberuf haben kann, u es ist 1 000 Mal besser ledig bleiben, als eine triviale Ehe mit Anstand ertragen, doch wo sich bei reifem Gemüth u einem warmen selbstständigen Herzen, wie es Elise hat, aus tiefinnerster Ueberzeugung u Enthusiasmus ein solches Bündniß schließt, dem kann es das Höchste u Beste sein was das Leben bietet – u das, theuerste Freundin, erfleht man doch von Gott für seine Kinder, selten findet es sich, dann ist die Freude groß wenn man es erreicht. Meine Kinder, die sehr treu Elisen’s Andenken bewahren, werden sich auch sehr freuen. Gebe nun Gott dß sie Ihnen nicht zu lange entrückt bleibt, die liebe, brave Elise, die ja vor Vielen befähigt ist eine solche Lebensaufgabe zu erfüllen. Auch was Sie von Felix schreiben, war mir recht beruhigend, man kommt doch mit milder nachsichtiger Liebe weiter als mit Schärfe, sie, [die Liebe] allein ists die Steine erweicht u Berge versetzt, sie tröstet über das Schwerste u giebt das Gleichgewicht wieder, möchte sie Ihrem armen Herrn Schwiegersohn, der so hart geprüft wird, auch helfen u es in der Liebe zu dem andern Kind Juliens sich beruhigen. Noch danke ich Ihnen den heutigen langen Brief; er hat uns sehr beglückt wenn Sie schreiben so hat man ein Stück Ihres lieben Herzens u lebt in warmer Empfindung mit Ihnen. Gott behüte Sie Alle, möchte es Ihnen recht gut gehen, uns geht es auch recht gut.
Mit innigster Liebe
Ihre
treu ergebne
Anna Storch
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