Berlin, den 17. Dezember 1872.
Als ich Sie in Düsseldorf sah und Sie trotz der traurigen Nachrichten aus Paris so fest entschlossen waren Ihre Konzertreise nicht zu unterbrechen, empfand ich lebhaft, daß kein Freund, kein Bekannter Ihnen Trost bringen würde, und darum habe ich geschwiegen. Dies Brieflein soll Ihnen nur sagen, daß ich nicht minder wie alle Anderen täglich an Sie und Ihr sterbendes, nun |2| zur Ruhe gebrachtes Kind dachte. Wenn ich auch gewartet habe bis alle vielleicht gesprochen oder geschrieben, minder erregt durch den Tod Ihrer Julie bin ich heute nicht. Ich habe manches schöne Lied von R. Schumann ihrem Andenken gesungen & wünsche recht bald die Freude zu haben mit Ihnen so ein stilles heimliches Fest feiern zu können. Kommen Sie nicht nach München oder Stuttgart bevor Sie nach England reisen? Morgen reise ich von hier der |3| Heimath zu & wollte ich dürfte hoffen Sie bald in unsern mauern wieder zu begrüßen. Ich habe große Freude von meiner nordichen Reise gehabt. An Berlin namentlich habe ich diesmal ein lebhafteres Interesse gewonnen. Die musikalischen Verhältnisse gestalten sich durch Joachim auf das erfreulichste. Ich wollte Sie hätten wie wir Gestern das Concert der Hochschule gehört. Wir haben in wenig Jahren das Höchste auf dem Gebiete der Instrumentalmusik zu erwarten. Auch für die Technik des Gesangs scheint eine sichere Grundlage gelegt zu seyn. Joachims belebender, durchwärmender Geist wird das Übrige vollenden. |4| Die kleine Janotha spielte wirklich vollendet. was dürfen wir da noch erwarten wenn die physische Kraft sich, wie die geistige, so weiter ausbildet. Die kleine Schülerin macht Ihnen gewiß große Freude! Nach dem Concert waren wir bei Joachims & kamen durch den tiefen Schnee sehr spät nach hause. Die kalte Nachtluft that ordentlich wohl nach so aufregenden Stunden! Es war herrlich! Bitte grüßen Sie Ihre liebe Umgebung, liebe Frau Schumann & nehmen Sie den schönsten Gruß für sich selbst
Ihr Sänger J. S.
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