23.01.2024

Briefe



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ID: 19506
Geschrieben am: Freitag 29.06.1860
 

Paris 29. Juny. 1860.
9 rue Moncey.
4 Uhr.

Liebe Frau Schumann!
Die Beine haben heute das Ihrige gethan & müßen Ruhe haben; nun sollte der Kopf, der Geist ist damit gemeint, recht frisch seyn, aber wie es so geht: wenn der corpus etwas müde ist wird der spiritus träge; das ist eine alte Geschichte & es muß gerade ein Brief von Frau Schumann seyn um ihn Heute gleich zu beantworten.
Wie ich ihn früh öffnete freute |2| ich mich sehr, wie ich aber Herr zu lesen bekam fand ich ihn etwas zu ceremoniell, wie ich dann sah daß Sie mir „eigentlich nichts zu schreiben wüßten“ wurde ich recht böse, & dann wieder recht erfreut & immer mehr, & so ist’s geblieben! Nennen Sie mich doch im Gespräch kurz weg Stockhausen, so können Sie es auch brieflich thun, oder? & da Sie wissen daß mich Alles interessirt was Sie angeht so brauchen Sie mir nicht zu schreiben daß Sie nichts zu sagen wissen. Habe ich recht? oder habe ich das Recht nicht Sie ein klein wenig |3| auszuzanken? steht mir das schlecht? bin ich noch zu jung um mir das zu erlauben? Ich werde immer themata finden wenn ich Ihnen schreibe liebe Frau Schumann; Gefühls-Menschen haben sich immer was zu schreiben & wir sind leider beide in diese Categorié zu zählen! „Leider!“ erwiedern Sie empört! – Das heißt wenn der Verstand nicht ein Gleichgewicht bildet – ja! Ueber das Thema könnte ich lange, lange schreiben doch Heute noch nicht denn es ist spät & mein Brief muß Heute Abend noch weg!
Sie zweifeln noch an meinem|4| Kommen? An was zweifeln Sie nicht, Sie ungläubige! Doch besser darüber nicht steiten [sic] & nicht ausbleiben! Ich wäre Morgen Ab. schon verreist aber die Wäsche die ich bestellt habe & die Sommerkleider & die Schuhe sind nicht fertig. Nichts habe ich noch bekommen! Zum Glück ist es immer noch hübsch kühl wie im Wunderschönen Monat Mai. – & July ist vor der Thüre! Die Bauern klagen sehr. Vorgestern war ich bei der Fürstin! Ich wollte wie gesagt Sonntag schon hinfahren aber die Viardot gab mir einen Sitz in ihre [sic] Loge zu Orpheus; das konnte ich nicht abschlagen & hätte Ihnen um ein Haar nach dem |5| ersten Akt schon telegraphirt doch hielt ich mich zusammen & mit recht: Im 4ten/ wurde die Darstellung so ergreifend, sie sang die Arie „J’ai perdu mon Euridice“ so dramatisch daß ich mir fast vornahm Sie zur nächsten & letzten Vorstellung (Mittwoch 17.) nicht einzuladen! Es war zu viel! Sie hätten’s nicht ausgehalten! In †nach sollen Sie bleiben & ruhig seyn & <sich> so viel wie Sie es können sich langweilen! <S>Paris reibt auf & ich muß 20 Mal im Tage mit aller Kraft mir zurufen: Halt!!! Dazu kam daß Sie die ganze |6| Zeit hätten in Bellefontaine bei Troubetzkoy’s bleiben müßen: die Viardot hat kranke Kinder & daher keinen Raum. Mein logis ist decidement dieses Jahr nicht wohnlich genug für eine Dame; es ist ein neues Haus & feucht wie alle Paterre Wohnungen; der thermometer zeigt nie mehr wie 13 ºº Réaumur. Die Fürstin hoffte Sie waren doch gekommen, ich war froh daß Sie ruhig im schönen Deutschland bei den Ihrigen saßen! Dieser Lärm! dieses Spektakel! Es ist fürchterlich! Ich muß der Feuchtigkeit wegen die Fenster aufhaben & es ist |7| mir immer als rollten die équipagen durch mein Zimmer! Ich werde sobald wie möglich abreisen! Heller habe ich gesehen: er ist ein guter freundlicher Mensch & ist Ihnen gar nicht böse. Ueber Ihre Nichtantwort sagte er nichts, nur über Ihre etwas kalte Aufnahme (seiner) in Düsseldorf beim Musikfest! Das hatte ihn geschmerzt! er dachte Sie hätten den Brief nie bekommen weil ihn Maho besorgt hatte. Aber denken Sie! „Die Briefe“ sind vor 4 Jahren bei’m Umziehen verloren gegangen! Es erzählte mir Heute früh beim dejeuner |8| er sey im Frühjahr (April 1855) umgezogen, habe alte Briefe gesammelt S.’s Briefe mit Briefe [sic] seines Vaters verpackt & der Packer habe alle unnütze & werthvolle in seiner Abwesenheit verbrannt. Ob er sich geirrt habe oder der Packer weiß er nicht zu sagen: so viel ist gewiß daß er Paris vor dem Umzug verließ, dem trouble entgehen wollte & die „Briefe“ a garder unter<>┌denen┐ à brûler umkamen! Er ist trostlos über den Verlust. Wasilewski hatte sie auch schon verlangt & er mußte ihm dieselbe traurige Nachricht mittheilen. Bücher besorge ich. – Nota bene war nur ein Scherz. – Frau Frege werde ich schreiben. Herr Goeschen ist hier u verreist Montag, auch zwei seiner Töchter mit ihm. Nun muß der Brief fort. – Leben Sie recht wohl & schreiben Sie bitte noch ein Mal. Mit 1000 Grüßen an Alle.
Ihr ergebener
J St

Frau Viardot grüßt herzlich


  Absender: Stockhausen, Julius (1547)
  Absendeort: Paris
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 7
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Jenny Lind-Goldschmidt, Wilhelmine Schröder-Devrient, Julius Stockhausen, Pauline Viardot-Garcia und anderen Sängern und Sängerinnen / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Jelena Josic, Thomas Synofzik, Anselm Eber und Carlos Lozano Fernandez / Dohr / Erschienen: 2023
ISBN: 978-3-86846-018-6
538 - 541

  Standort/Quelle:*) D-B, s: Mus. Nachl. K. Schumann 2,11
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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