23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 19480
Geschrieben am: Donnerstag 03.01.1850
 

Paris d. 3 Januar 1850.

Meine theure, meine liebe Clara!
Hast Du mich nicht längst zu den Todten gelegt? oder schlimmer, mich unter die Undankbaren geworfen, die Deiner Liebe und Freundschaft nicht würdig waren? Nein, noch lebe ich und so lange ich lebe wird auch das Andenken an Dich, meine herzinnige Zuneigung zu Dir nicht verlöschen! Ich habe immer ein warmes, aufrichtiges Gefühl für Dich in meinem Herzen getragen, und wie theilnahmlos, wie gleichgültig ich Dir bis jetzt auch erscheinen mußte, so glaube mir doch wenn ich Dir sage, daß ich oft, sehr oft an Dich gedacht, viel, und mit dem innigsten Gefühl der Freundschaft von Dir gesprochen habe. Wer sollte Dir auch nicht fürs ganze Leben gut sein, wenn man |2| Dich kennt, wie ich Dich kenne?! Du bist die Liebe in Deinem ganzen holden Wesen und niemand der Dir näher tritt, wird unberührt bleiben von dem milden, erwärmenden Hauch den Deine Seele uns entgegenweht. Ich bin ungeschickt das, was ich empfinde auszusprechen, und als ich Dir gegenüberstand war es mir ganz unmöglich Dir zu sagen, wie gut ich Dir bin. Ist es mir durch irgend etwas gelungen Dich von der Wahrheit meines Gefühls für Dich zu überzeugen, und sei es auch nur durch das Bestreben Dir ein Lieblingslied von Dir gut vorgesungen zu haben, so will ich ganz glücklich sein. Laß mich nun auch hoffen daß Dir ein Zeichen meiner dauernden Anhänglichkeit willkommen ist, und daß Du Dich freust von mir zu hören. Wie ich gelebt und wie es mir ergangen seit wir uns zum letzten Mal gesehen, wie ich lebe und welches mein |3| künftiges Schicksal sein wird – Dir darüber ausführlich zu schreiben, könnte weitschweifig oder langweilig werden, da mein äußeres Leben nichts hervorragendes biethet und was mein inneres Leben beengt muß ich Dir einmal mündlich sagen. Ich lebe still und zurückgezogen von der Welt, glücklich und zufrieden und nicht der leiseste Wunsch taucht in meiner Seele auf, mich der Vergessenheit entrissen zu sehen, in welche ich für die Welt gekommen zu sein scheine. Mein staatsgefährliches, königsmörderisches hochverrätherisches Auftreten in den blutigen Maitagen in Dresden, scheint man auch gänzlich überwunden zu haben und vielleicht schämt man sich jetzt, die menschlichste aller Regungen, das Entsetzen vor einem eben gemordeten Menschen auf eine so hämische und boswillige Weise ausgebeutet zu haben. Die tiefste Verachtung |4| ist das einzige Gefühl welches ich solcher Böswilligkeit gegenüber empfinde. Dem
öffentlichen Künstlerleben habe ich alles Ernstes und für immer entsagt und werde selbst nicht einmal mehr in der Weise auftreten, wie ich es im vorigen Winter an Deiner Seite gethan. Ich habe meine Künstlerlaufbahn würdig beschlossen, ich habe es Hand in Hand mit Dir gethan und ein ganz besonders befriedigendes Gefühl ist es für mich, daß ich in Leipzig meinen Schwanengesang gesungen, denn Leipzig war eine der wenigen Städte Deutschlands wo man mich ganz verstanden, und Leipzig wird in der Rückerinnerung an mein künstlerisches Wirken, den ersten Platz einnehmen. Nicht der holden Muse, aber ihrem Dienst habe ich entsagt und
von nun an werde ich ihr nur an einem stillen Hausaltar opfern, ihn nicht mehr mit dem drückenden Lorbeer schmücken |5| sondern ihn mit den duftenden Blumenkränzen umwinden, die mir eine liebende Hand mit stillem, innigen Entzücken auf das Haupt drückt.
Mir ist leicht und wohl daß nichts mich in eine Laufbahn zurückdrängt der ich allerdings viel schöne, erhabene, aber auch schmerzliche und qualvolle Momente verdanke. Ich habe meine Kunst geliebt und sie mit heiligem Enthusiasmus ausgeübt – ob ich etwas erreicht, ob ich Denen die nach mir kommen etwas hinterlassen habe? das ist die Frage! Mein Streben war nach dem Höchsten und gern habe ich mitgetheilt, gern habe ich übertragen wenn man es von mir begehrte und wo ich einen fruchtbaren Boden zu finden glaubte. Leider habe ich kein Resultat aufzuzählen und nur das Räuspern und Spucken ist manchmal gelungen, die Geistes
und Herzensarmuth war zu groß, der Boden zu steriel als daß er die |6| kräftigen und gesunden Wurzeln faßen konnte die ich aus meinem Herzen gerissen um sie zu verpflanzen. Was sie jetzt treiben, darüber möchte man blutige Thränen weinen! Wo ist die Wahrheit, die Natur hin? wo der göttliche Funke der in schwachen wie starken Gemüther zündet? Strohfeuer, Strohfeuer, wiederliche Unnatur, Geschrei und Geheul und statt von heiliger Begeisterung bis ins tiefste Mark erschüttert zu sein, geht man abgespannt, mißmuthig davon und ärgert sich daß man so viel Geld für vergoldete Decorationen und bengalisches Feuer ausgegeben hat, was
die Leere ausfüllen < >, Schwäche bedeken soll, die all diese neuen Machwerke sehen lassen. Mit diesen Empfindungen habe ich die Vorstellung des Propheten verlassen, welcher ich beigewohnt. In ein detallirtes [sic] Urtheil dieser Arbeit einzugehen, ist weder meine Sache noch meine Absicht; Du wirst ihr bald selbst |7| Dein eigen Urtheil anmessen können, denn, wie ich höre, soll der Prophet bald in Dresden zur Aufführung kommen. Meyerbeer hat nach meiner Ansicht in diesem Werke seinen vollständigen Bankerut erklärt und alle Mienen die er springen läßt sind nur dazu gut, den unwissenden Theil des Publikums, der leider immer der
überwiegende ist, noch für eine Weile zu täuschen. Ich müßte mich sehr irren wenn diese Oper in Deutschland nicht eine vollständige Niederlage erlebt. Denn, welches Theater kann jetzt und wird überhaupt solche Mittel daran setzen, wie es hier bis zur Erschöpfung der Fall ist? Decorationen, Kostüme und alle nur erdenkliche Pracht ist hier bis auf ’s Äußerste getrieben und das ist es auch, was den schaulustigen Pariser hineinlockt, denn ich glaube nicht daß es ein Dutzend Menschen gieb [sic], die diesen Propheten zweymal wollen in die Luft springen |8| sehen, wenn es 5 Stunden diese Musik mit in den Kauf nehmen muß. Ich war so voll Ärger und Unmuth aus der Vorstellung gegangen und werde mich nicht entschließen die Oper zum zweyten Mal zu hören. Die Blätter posaunen nach jeder Vorstellung aus voller Lunge, doch man weiß was das hier zu bedeuten hat; Meyerbeer hat einen vollen Geldbeutel den er nicht schont, wenn es seiner Eitelkeit gilt. Doch Du wirst selbst hören und urtheilen und ich glaube wir werden auch bei dieser Gelegenheit in unseren musikalischen Empfindungen zusammentreffen, wie es ja so oft geschehen.

d. 6.
Ich bin neulich Abend unterbrochen worden und komme erst heute dazu, diese Zeilen fortzusetzen. Ich habe sie begonnen zu einer Stunde zu welcher wir im vorigen Jahr vereint einem verehrten Freunde ein Dankopfer aus vollem Herzen darbrachten – an Carus Geburtstag! Wart Ihr wieder dort vereint und habt Ihr meiner nur den kleinsten Theil so viel gedacht |9| wie ich Eurer, so will ich voll warmer Dankbarkeit sein, daß Ihr mich nicht vergessen habt. Ich war mit Leib und Seele dort, und wenn Carus nur ein wenig gehorcht hat, so hat er seine Armida gehört und wenn ein liebevoller Gedanke aus Deiner Seele sich zu mir gedrängt hat, so mußt Du das „Frühlingslied“ gehört haben. Wüßten doch die wenigen Menschen, denen ich so von ganzem Herzen gut bin, und worunter Carus mit obenan steht, wie ehrlich ich es mit meiner Liebe für Sie gemeint habe. Aber ich fürchte sie glauben es mir nicht recht, weil ich gar die Gabe nicht besitze für meine Gefühle Worte zu finden, sind darum weniger warm und innig gegen mich, wie ich es wohl verdient und wie ich es von ganzer Seele wünsche und fern von ihnen vergessen sie mich schnell und leicht und bedenken nicht mehr, daß ich ihnen ein Stück von meiner Seele gegeben. Wie oft habe ich meine Armida für Carus ganz allein gesungen – da sah ich ihn aufmerksam in der Loge sitzen und weil ich ihm dankbar
ergeben bin, weil ich ihn lieb hatte, habe ich meine Sache so gut gemacht, als ich nur irgend konnte. Ich vergesse nicht und für jeden leisen Beweiß |10| für wahre Liebe und Freundschaft trage ich ein Dankgefühl durch’s ganze Leben in der Brust. Doch, damit dieser Brief nicht bis zur Ungebühr lang werde, laß mich aus meiner Gefühlswelt auf die wirkliche Erde zurückkehren und, damit ich keine Ausnahme von der Regel mache, daß der Mensch als Egoist
geboren ist, laß mich Dir zwey Wünsche vortragen, die mir sehr am Herzen liegen und zu deren Erfüllung Du wesentlich beitragen kannst. Daß Du gerne etwas für mich thust, weiß ich gewiß. Du wirst Dich vielleicht erinnern daß ich Dir im vorigen Winter von einer musikalischen Dichtung eines La Trobe gesprochen habe, die ich gern in die musikalische Welt eingeführt wissen möchte. Die Verhältnisse dieses Mannes, der nun schon mehrere Jahre tod ist, waren nicht von der Art daß seine Werke den Weg über die Grenze seiner Heimath hätten machen können. Er hat in Rußland gelebt und was er dort geschaffen ist unter den dortigen, unvollständigen Einrichtungen in Bezug auf Musikaufführungen auch nur
unvollständig gegeben worden. Ein ihm sehr ergebener Freund wünscht nun La Trobes Namen nicht nur der gänzlichen Vergessenheit zu entziehen,16 sondern ihm auch die gehörige Geltung zu verschaffen, so weit |11| es möglich ist und hat sich schon im vorigen Winter mit der Bitte an mich gewendet, eines der vorzüglichsten Werke seines Freundes wo möglich in der katholischen Kirche in Dresden zur Aufführung zu bringen. Es ist ein Stabat Mater von großem musikalischen Werth. Ich habe es Reissiger zur Durchsicht übergeben, der ein sehr günstiges Urtheil
darüber gefällt, und mir das Versprechen gegeben hat, es bei der ersten Gelegenheit aufführen zu lassen, aber es ist beim Versprechen geblieben. Hättest Du nun nicht Gelegenheit liebe Clara für das öffentliche Erscheinen dieses Werkes etwas zu thun? Sollte sich diese Gelegenheit nicht am besten in Leipzig finden, oder könnte es nicht in dem Singverein in Dresden zur Aufführung kommen? Du würdest mich und noch Jemand in hohem Grade verpflichten, wenn Du dieser Komposition den Weg bahnen wolltest, und für den günstigen Erfolg, der wohl kaum zu bezweifeln ist, würde man an La Trobe’s Nachlaß gehen, der sehr reich sein soll, und andere Werke folgen lassen, die vornehmlich in Kirchenmusik bestehen. Das Stabat Mater ist bei Breitkopf und Härtel in Leipzig erschienen, es wäre Dir daher |12| ein Leichtes Dir dasselbe zu verschaffen, und dann nimmt sich wohl Dein Mann die Mühe, es zu prüfen und nach Recht und Gewissen zu empfehlen. Abgesehen von dem persönlichen Interesse was sich an den glücklichen Erfolg dieses Werkes knüpft, halte ich es auch für eine Künstlerpflicht, solche Arbeiten nicht untergehen zu lassen und für deren Erscheinen zu thun, was möglich ist. Du wirst mir sowohl Dein Urtheil mittheilen, als auch die Aussichten, die sich für die Aufführung
eröffnen, und für den Fall daß Dein Urtheil ein günstiges würde, wäre es wohl gut, der Aufführung eine kleine <Noti> biographische Notiz über La Trobe vorauszuschicken, die ich Dir dann auf Dein Begehr sogleich einsenden könnte.

d. 13.
Ich will versuchen ob es mir vielleicht heute gelingt diese Zeilen zu beenden, die nun schon seit 10 Tagen begonnen sind. Die Tage sind immer noch so kurz und hier in Paris will die Zeit nirgend hinreichen. Um diese Blätter nicht noch einmal bei Seite zu legen, will ich mich so kurz als möglich fassen, Dir nur meine zweite Bitte vortragen, |13| da ich Dir sonst auch keine Mittheilungen machen kann, die von besonderem Interesse für Dich wären, denn es ist hier eine musikalische Dürre, von der man sich kaum einen Begriff machen kann, und dann eilen daß die Post diese Blätter empfängt. Ich werde noch zum Frühjahr nach Rußland übersiedeln und will gerne ein gutes, aber nicht zu theures Instrument mitnehmen.
Würdest Du wohl so freundlich sein liebe Clara mir einen Flügel (es kann auch ein Stutzflügel sein) auszusuchen der in Ton und Anschlag denen Ansprüchen entspräche, die ein gewandter Klavierspieler an ein Instrument zu machen hat. Das Äußere kann so einfach wie möglich sein, denn ich möchte im Preis nicht gerne weit über 300 rh gehen. Ob Breitkopf zu diesem Preis Instrumente hat, möchte ich bezweifeln und doch würde ich von ihm am liebsten ein Clavir haben. Das Instrument welches wir im vorigen Winter bei Lendel sahen, hat mir auch sehr wohl gefallen und würde ich auch mit einem solchen zufrieden sein, besonders da es, wie ich
|14| glaube, eben zu dem Preis von 300 rh war. Anfang März werde ich auf kurze Zeit nach Dresden kommen, könntest Du bis dahin ein Instrument nach Deinem Geschmack, also auch nach dem meinen, finden, daß ich es dann in Augenschein nehmen könnte, so würdest Du mich sehr verpflichten. – Ich werde meine deutsche Heimath nur flüchtig sehen um von ihr, und denen, die mir dort lieb und theuer sind, Abschied zu nehmen. Wann, und ob ich wiederkehre, darüber muß ein Höherer entscheiden. Ich werde ganz still, ganz einsam
auf dem Lande leben, also nur aus weiter Ferne den traurigen, oder glücklichen Ereignissen folgen können, die mein armes Vaterland treffen wird [sic]. Möchten sich endlich die Wirren lösen und die Sonne der Freiheit, im weitesten Sinne des Wortes, dem Theil der Erde scheinen, der es am meisten verdient, und der es so lange vergebens erstrebt. Die Tage der Schmerzen die Du im vergangenen August erwartetest, sind hoffentlich glücklich an Dir vorübergegangen und Du nun in voller Kraft Deiner herrlichen Kunst wiedergegeben. |15| Vergebens habe ich nach Nachrichten über die Oper Deines Mannes geforscht. Ist die in Leipzig gegeben? und mit welchem Erfolg? Schreibe mir darüber ausführlich, denn ich interessire mich aus ganzem Herzen für das Genie Deines Mannes. Verhätschele ihn nur nicht so, wie damals in Leipzig. Bist Du in Dresden und triffst Du die Familie Carus, so bringe meine
herzlichsten Grüße, und ihm Carus, meinem Seelenfreunde, einen Kuß, wogegen die Frau Cara wohl nichts einzuwenden haben wird und Dein Mann wird gar nicht gefragt. Bist Du in Leipzig, o dann grüße Alles was sich meiner in Liebe erinnert! Schreibe mir unter der einfachen Adresse Mad. W. Schröder poste restante hierher aber bald, denn in 4 Wochen will ich Paris verlassen. Nur Schröder, nicht Devrient hinzugefügt Lebe wohl meine theure Clara! grüße Deinen Mann viele tausend Mal und sei von ganzem Herzen umarmt
von Deiner Dir ewig treuen Wilhelmine Schröder-Devrient.

  Absender: Schröder-Devrient, Wilhelmine, in 3. Ehe verh. Bock, Wilhelmine (1405)
  Absendeort: Paris
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 7
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Jenny Lind-Goldschmidt, Wilhelmine Schröder-Devrient, Julius Stockhausen, Pauline Viardot-Garcia und anderen Sängern und Sängerinnen / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Jelena Josic, Thomas Synofzik, Anselm Eber und Carlos Lozano Fernandez / Dohr / Erschienen: 2023
ISBN: 978-3-86846-018-6
431- 439

  Standort/Quelle:*) D-B, s: Mus. Nachl. K. Schumann 1,84
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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