Wien. 13.1.58
Meine liebe theure Clara!
Unsere arme Baronin Eichthal, die in letzter Zeit so viel gelitten, sandte mir Ihren Brief in einem Augenblick, wo ich ihn unmöglich beantworten konnte, denn ich lag fieberkrank zu Bett.
Ich hatte eine heftige Grippe durchzumachen, die dann auf meinen Mann, später auf meine Dienstleute überging, und unser Haus in ein Spital verwandelte. Verzeihen Sie also gütigst die Zögerung, und seyen Sie gewiß, meine theure Clara, daß ich mich zu jeder Zeit glücklich schätzen würde, wenn es in meinen schwachen Kräften stünde, Ihnen dienen zu können. Ich selbst könnte Ihnen keine Briefe, die Ihnen irgend nützlich seyn könnten, nach |2| Warschau mitgeben, da ich zu wenig dort bekannt bin. Ich selbst war, noch dazu mitten im Winter bei strengster Kälte, wo man jeden Ausgang scheut, nur 9 Tage, Emilie nur 10 Wochen dort, und darüber sind 2 Jahre verflossen. Emilie fand dort keine Gelegenheit zur Uebung, und da ihr durch unsere Vermittlung ein Engagement in Italien geboten wurde, <und>wo ihre Sehnsucht sie längst hinzog, so verließ sie Warschau mit großem Vergnügen. Damals wußte ich freilich nicht, daß sie durch dieses Engagement für immer an Italien gefesselt werden würde! Emilie lernte den Sohn des Directors unserer italienischen Oper hier, Eugenio Merelli, kennen, der in Italien selbständig mehrere große Theater führt, und der ein feiner, wahrhaft liebenswürdiger Mensch ist. Sie war bei ihm engagirt, er faßte eine wahnsinnige Leidenschaft zu ihr, die sie an-|3|fangs entschieden von sich wies, die sich aber so dauernd und so innig zeigte, daß sie zuletzt jeden Widerstand bezwang. Emilie hatte stets eine so große, entschiedene Abneigung sich zu verheirathen, daß wir, wie über ein Wunder staunten, so natürlich die Sache an und für sich ist, da mein Schwiegersohn nicht nur ein sehr guter und ehrenhafter, sondern wirklich ein selten liebenswürdiger Mensch ist. Mein Mann so wie ich, haben das große Glück ihn zu lieben und ihm zu vertrauen. Am 12ten August haben wir Emiliens Verlobung, am 18ten November ihre Hochzeit gefeiert. Ich schweige von unsern Gemüthsbewegungen, von dem innern Kummer, den wir durchgemacht. Es ist sehr schwer, seine einzige Tochter zu verheirathen, und nun vollends in ein fremdes Land, in weite Ferne! Im Frühjahr werden sie uns besuchen, und das ist unser Lichtpunkt. –
Um auf Warschau zurück zu kommen, muß ich gestehen, daß es für Wien eine |4| mir unbekannte Insel scheint. Niemand hat dort nähere Bekannte, Niemand weiß etwas Genaues von den Verhältnissen. Beim Theater geht es etwas kunterbunt zu, was Sie schon daraus ersehen können, daß die Chöre polnisch, die Soloparthien zuweilen italienisch auch wohl polnisch und italienisch und französisch und deutsch an demselben Abende gesungen werden. Ich selbst hörte dort den Barbier, wo der Almaviva <t> italienisch und die Rosine polnisch gesungen wurde, was einen grausamen Effect machte. Der Baritonist Buti und der Tenorist Ciaffei, die gute Sänger sind, und mit denen Emilie bekannt war, weil Debassini sie an dieselben empfohlen, haben in diesem Herbst Beide Warschau verlassen, und damit ist unser letzter Anknüpfungspunkt dort zerrissen. Ich sende Ihnen 3 Briefe des Dr. Fürstenberg der im vorigen Jahre von einem Kranken nach Warschau berufen wurde, und da er |5| sich mehrere Wochen aufhielt, verschiedene Bekanntschaften gemacht hat. Die Briefe sind, der Grenze wegen offen, und er bittet Sie <se> dieselben vor der Abgabe, mit einer Oblate zu schließen. Wenn Sie, wie ich vermuthe, den Balletmeister Taglioni in Berlin kennen, so verlangen Sie doch von ihm Briefe, er ist sehr bekannt und beliebt in <Wien> Warschau. Schmuttermayer kann Ihnen Briefe an den Generalconsul verschaffen; ich sprach ihm davon, und er ersucht Sie um einige Zeilen, in welchen Ihr dahinzielender Wunsch ausgedrückt ist. Er findet diese Förmlichkeit wichtig, was ich nicht recht begreifen kann. Schreiben Sie aber ein paar Worte, denn in Rußland ist es sehr gut an |6| die Gesandten und Consule empfohlen zu seyn. Von Julie Schmuttermayer haben Sie wohl direct Nachricht. Sie ist sehr fleißig und strebsam, und will es versuchen in Gratz und Prag Conzerte zu geben. Welch ein Glück in jeder Beziehung für das Mädchen, wenn sie hätte längere Zeit unter Ihren Augen studiren und leben können. Aus der Ferne weiß man wohl von einander, aber nur aus der Ferne, und wie wenig will das sagen. Kommen Sie bald wieder nach Wien, liebe, liebe Clara, und erfreuen Sie durch Ihre echte Künstlernatur unser Herz. In diesen Tagen habe ich ein bezauberndes Lied Ihres Mannes kennen lernen. „Loreley“. Wirklich bezaubernd ist das |7| Lied, es lebt mir in der Seele. Das und die Lotusblume sind meine Lieblings-Lieder. Freilich kenne ich im Verhältniß wenige. – Wie geht es Ihren Kindern? Hoffentlich geben sie Ihnen nur Freude, reine Freude! Gott behüte Sie meine liebe Clara. Vergessen Sie mich nicht, Sie sind es mir schuldig, denn ich denke Ihrer treu. Mein Mann grüßt Sie innig und herzlich. Nicht wahr, Sie haben auch mit der armen Eichthal gelitten? Ich war geistig krank an den fürchterlichen Leiden dieser Dulderin. Sie hat Alles sehr standhaft getragen, und geht nun hoffentlich besseren Tagen entgegen. Sina’s Freundschaft hat sich glänzend bewährt, die Familie hat sich bei dieser Gelegenheit herrlich benommen. Der Baron war im Nebenzimmer mit der Tochter während der Operation, die über eine halbe Stunde dauerte. Da ist der Reichthum einmal an seiner rechten |8| Stelle. Doch genug, mein Brief wird endlos. Leben Sie wohl, recht wohl, und haben Sie lieb Ihre Ihnen von Herzen ergebene
Julie Rettich