Karlsruhe 21 Juny 1880.
Liebe verehrte Freundin!
Es war mir sehr leid, daß ich Sie nicht wenigstens flüchtig bei meiner Durchreise begrüßen konnte, denn obgleich ich Ihnen nicht schrieb, während des ganzen Winters, so war das kein Mangel an Freundschaft u Theilnahme, u ich habe sehr aufrichtig u herzlich gefolgt, als ich las u erzählen hörte, von dem wunderbaren Fest, welches Sie in Bonn erlebt haben, und ich konnte mit |2| Ihnen die hohe Befriedigung u Genugthuung verstehen, die Sie erfüllt haben muß, als die Epigonengeneration dem Genius Ihres geliebten Mannes alle die Kränze zu Füßen legte, die Ihr Genius u Ihre treue Hingebung für ihn errang, indem Sie sein [sic] Schöpfungen der oft so verständnißlosen Menge interpretirten u zugänglich machten. Daß es Ihnen so gelungen ist, sollte Ihnen jede ächte Künstler Natur danken, denn es beweist daß das wahre Große am Ende siegreich hervorgeht, wenn es gelingt demselben die rechte |3| Stätte zu bereiten u es in die rechte Athmosphäre zu versetzen. Daß ich Ihnen nicht schrieb, lag in einer Reihe von sehr ernsten Erlebnissen, die unsre Familie grade mit dem Moment Ihrer Abreise von Karlsruhe, in große Calamitäten verwickelte, und die Erfahrungen die ich machen mußte erfüllten mein Herz so mit Groll u Kummer, daß ich dahinaus nur an die aller nächsten Familienmitglieder, oder an ganz gleichgültige Menschen schreiben konnte, jede andre Brief wäre eine Lüge oder eine Ungerechtigkeit gewesen[.] Jetzt ist durch das muthige und |4| und energische Einschreiten meines ältesten Sohnes, der Knoten durchhauen, an dessen Lösung die Spitzen der Civil u Militärbehörden in Baden, 4 volle Monate vergeblich arbeiteten, und wenn ich auch noch vielen Groll in mir bewahrt habe, so überwiegt doch der Dank für alle die guten Erfahrungen die wir gemacht, die sich in der Treue einige Freunde, und zumeist in der vortrefflichen Haltung aller unsrer Kinder gipfelt, die wie ein Mann zusammen gestanden sind, was uns die tröstliche Zuversicht giebt, daß es uns gelungen ist, eine rechte u ächte Familie zu gründen.
|5| Zu unsren treusten Freunden zählte die Gräfin Rehbinder, u ein Auftrag, den sie mir an Sie gab, ließ mich auch noch ganz besonders bedauern, Ihnen denselben nicht mündlich aussprechen zu können. Es handelt sich um die Schwester ihrer Instituts Musiklehrerin Frl v Radecki, die sich der Kunst widmete, gegen den Wunsch ihrer Familie. Sie erhob dazu ein kl. Kapital, das sie besaß, u das ihr 4 Jahre Studium ermöglichte. Seit 2 Jahren ist sie am Conservatorium in Stuttgart, doch fühlt sie dort die Unmöglichkeit, ihren Anforderungen gemäße Ausbildung zu erhalten. |6| und nun hat sie den brennenden Wunsch, nach Frankfurt zu kommen, und bei Ihnen weiter zu studieren. Die Frage, die ich Ihnen vorlegen soll, ist nun die, ob es vom k. October, Ihre Zeit erlaubt, eine Privat Schülerin anzunehmen? In dem Fall würde Frl v R. jetzt nach Frankfurt kommen, um von Ihnen geprüft zu werden, und ich würde Ihre Tochter bitten, der Vereinfachung wegen Ihre Antwort direct an Gräfin Rehbinder nach Karlsruhe zu schreiben. Es handelt sich selbstverständlich nicht um eine Wohlthätigkeit nach der pecuniären |7| Seite hin, da wie ich schon erwähnte, die Mittel vorhanden sind, noch ein paar Jahre die Studien zu verfolgen, sondern hauptsächlich um die künstlerische Richtung u Auffassung. Wie weit die technische Ausbildung vorgeschritten müßte eben Ihrer Beurtheilung unterbreitet werden, u ob Sie es der Mühe werth halten, Ihre Zeit auf die weitere Ausbildung zu verwenden. Mündlich wollte ich Ihnen das Alles sagen, und mußte nun doch zu dem Nothbehelf des Schreibens greifen. Wollen Sie Ihre Tochter sehr herzlich grüßen, mein |8| Gatte ist in Berlin, sonst würde er Ihnen die besten Grüße senden.
In treuer Verehrung und Anhänglichkeit
Ihre
Elisabeth zu Putlitz