Berlin 20 Nov 1872.
Liebe verehrte Frau Schuman!
Wenn Ihnen auch meine aufrichtige Verehrung und Freundschaft ohne den sichtbaren Beweiß durchs ganze Jahr folgt, und ich immer danach trachte von Ihnen und Ihrem Ergehen zu erfahren, so möchte ich Sie doch nicht damit quälen, und deshalb schweige ich gewöhnlich. Heute aber muß ich Ihnen dennoch ein directes Wort der Theilnahme senden, wo ich durch Julie Asten erfahre, welchen schweren schmerzlichen Verlust |2| Sie erlitten haben. Ein geliebtes Kind zu verlieren ist gewiß ein unendlicher Schmerz, ich habe ihn selbst erfahren, aber ich trug und theilte ihn mit meinem Mann, und da kann ich nun doppelt und dreifach empfinden für Sie liebe Verehrte Frau, die Sie das Schwerste schon seit Jahren erfuhren, und in diesem Kummer, nun auch alle Wunden neu bluten werden. Was Sie durch alle schwersten Stunden trug, die von Ihnen geheiligte Kunst, wird Ihnen auch jetzt helfen. Gott mußte |3| wohl wissen, wozu Er Ihnen diese geweihte hohe Begabung fürs Leben mit auf den Weg gab, es war die Waffe um den Kampf siegreich zu bestehen es war der feste Anker, der allen Stürmen Ihres Lebens zu widerstehen vermochte, es war in Ihrer Hand das Panier, um das sich alle die Menschen schaaren durften, denen es vergönnt war Ihnen auf dem Wege zu begegnen. Möchte es Ihnen vergönnt sein auch in diesem Momente Trost und Frieden zu schöpfen aus dem unversiegbaren Quell der |4| Gottbegnadeten Kunst, deren hohe Bedeutung mir persönlich so ganz mit Ihnen zusammen geschmolzen scheint, dß ich das Höchste und Edelste in Ihnen immer vollendet sehe.
Bitte antworten Sie mir nicht, sondern lassen Sie mich in Gedanken Ihre Hand küssen, in treuer Liebe und Verehrung.
Mein Mann schließt sich meinen Empfindungen an, und wir sind und bleiben für alle Zeit Ihre Getreuen
Putlitze.
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