Verehrte Frau und Freundin!
Ihr lieber Brief vom 10ten October kommt täglich in meine Hände, wenn ich Papiere durchsehe, und immer sage ich mir und warte auf einen glücklichen Augenblick, um den zu beantworten. Nun wird es doch zu lange mit dem Warten und ich nehme den Augenblick der eben ist (der ist doch vielleicht immer unser Bester). … Ich hatte die Freude Ihre liebe Eugenie zu sehen, in London, wäre gern mehr befreundet mit dieser feinen Natur, an der mancher Hauch von Ihnen zu erkennen ist; hoffentlich wird dies noch mit der Zeit möglich werden! … Ich finde meine größte Freude, während dieser Zeit auf meinem ziemlich miserablen Pianoforte manche vielgeliebte Sachen vorzunehmen so gut es geht. Besonders anziehend finde ich die Variationen in D, op. 21 von Brahms, die verweben sich mit alle meine Gedanken, wie nur Musik sich verweben kann. Wie das wohl klingen würde, wenn Sie es spielten, das grüble ich mir oft aus, natürlich denke ich dann, es würde so klingen, wie ich es mir vorstelle – wer kann denn über seinen Egoismus heraus? Goethe sagt ja schon: es ist dafür gesorgt, daß der Vogel nicht über sich selbst hinausfliegen kann. – Aber die herrlichen Erinnerungen von Ihren Vorträgen in London geben mir das Gefühl, daß ich Einsicht gehabt habe in das Beste, Vortrefflichste, das existirt, und von diesem Standpunct aus maße ich mir an Ihre mögliche Auffassungsweise mir vorzustellen …
Sein Sie in innigster Liebe gegrüßt – meine kleine Freundin wünscht ihren ehrfurchtsvollen Gruß beizulegen, und mit sehr freundlichen Erinnerungen an Ihre liebe Marie zeichnet sich Ihre von Herzen ergebene Nathalie Macfarren.
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