Hochgeehrte Freundin,
So sehr erwünscht es mir wäre Sie wieder im Theater zu hören, und Ihnen dass Conzert vorzubereiten, so befürchte ich jedoch dass es die localen Umstände für jetzt nicht passend einleiten lassen. In der Oster Woche gibt hier Saphir eine Academie (nach dem Wiener Styl) worin Singer, Cossmann etc sich produziren, und einige Tage nachher veranstaltet Raff ein großes Conzert um mehrere seiner neuen größeren Compositionen aufzuführen. Beide Conzerte sind bereits annoncirt an den dazu bestimmten Tagen (13ten und 18ten d. M.) und es würde schwer zu ermöglichen sein ein drittes Conzert, so attractiv sich auch dass Programm durch Ihre Betheiligung gestaltet, der Theater Eintheilung einzuschalten. Entschuldigen Sie daher bestens wenn ich Ihrem freundlichen Wunsch nicht die befriedigende Folge leisten kann – Die Proben der Genoveva versprechen eine verhältnissmäsig gelungene Aufführung – und ich denke dass sie jedenfalls besser, gerundeter und dem edlen Werke angemessener sein wird als die Leipziger – Eines thut mir blos leid, weil ich es für den Erfolg der Oper als gefährlich erachten muss – nähmlich dass der Schluss, insbesondere das Wiedersehn Siegfried und Genoveva nicht wirkungsvoller, poetisch und musikalisch strahlend von dem Componisten aufgefasst war – Da sollte ein andres Duett (sowohl im Text als in der Musik) sich einstellen und den Schluss des Werkes bilden – denn nachdem sich die beiden wiedergefunden, haben Sie wahrlich nichts weiteres mit dem übrigen Publikum zu verhandeln – Die Schuld dieses ermattenden Schluss liegt entschieden in der Dichtung; der Componist allein könnte da nicht abhelfen – Grüssen Sie freundschaftlichst Robert, und genehmigen Sie, Hochgeehrte Freundin, den Ausdruk meiner aufrichtigen Ergebenheit und Verehrung
F. Liszt
Weymar 6ten April 55.
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