23.01.2024

Briefe



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ID: 19057
Geschrieben am: Sonntag 17.06.1860
 

Wien 17. Juni 1860

Meine hochverehrte Gönnerin!
Es war mir unter so vielen trüben Erscheinungen und Auswüchsen unserer Zeit ein liebes und erfreuliches Zeichen, daß die Vaterstadt Ihres großen Mannes an dem Gedächtnißtage seiner Geburt sich des herrlichen Schatzes, der ihm [sic] geworden, bewußt zeigte und sein Andenken so schön feierte. Ich sehe darin einen erfreulichen Fortschritt des bildenden u hebenden Geistes im Volke, und das muß denn doch sein – nicht für wenige geputzte Herrn u Damen, die in Folge Ihrer Erziehung mit der Musik |2| mehr oder weniger bekannt sind, auf sein ganzes Volk ist des Dichters Aug gewendet, denn in seinen Werken gibt er ja der Eigenthümlichkeit desselben ihren sichtbaren und hörbaren Ausdruk, auf die Erhebung und Begeisterung seines Volkes für das Palladium des Schönen u poetisch Wahren geht sein Zweck, und daß sich bereits Momente zeigen, wo Hunderte sich dessen bewußt werden, was der Dichter ihnen gegeben; u daß er bei weitem höher anzuschlagen sei als Held, denn der Held in der Sphäre der Religion, das ist das Tröstliche, das sichere Zeichen geistigen Aufschwunges. |3| Denn was ist der Mensch ohne das Schöne? Ein Lastthier, welches keucht unter der Last der Aufgabe, seinen guten Fraß zu finden, um seinen Cadaver solange als möglich zu schleppen. –
Auch die Sing-Academie hat eine hübsche Feier Schumanns veranstaltet<,> in ihrem Saale in der Renngasse. Mir wurde die Ehre zu Theil, das Fest mit einem kleinen Gedicht einzuleiten; Lieder, Quintett (mit Rubinstein;) der Rose Pilgerfahrt. Es war ein anmuthiger, schöner Abend, u ich habe mich herzlich gefreut, nicht allein um des Dichters sondern auch um Ihretwillen, die ja das Meiste zu seiner Verherrlichung u Offenbarung beiträgt. Ihre herrlichen Zeilen haben |4| mich recht glücklich gemacht, indem sie mir berichteten, daß Sie eine schöne Stunde bei unserm herrlichen Otto Ludwig zugebracht. Es macht mir unsägliche Freude, wenn sich irgendwie ein paar große Menschen finden u lieben. Mit der Gesundheit unseres Freundes Holtei steht es denn fast eben so schlimm wie mit der Ludwig’s. Vor Kurzem ist er vom dritten Gichtanfall erstanden – seit Neujahr. – Ich bin in Verzweiflung. In wenigen Tagen sehe ich ihn bei meinem Gastspiel in Gratz; dann Gehe [sic] ich nach Gleichenberg, um meine organischen Kräfte zu stärken, u hoffe zu Gott, wir werden uns froh u gesund wiedersehen. Wenn Sie mir erlauben, so sende ich Ihnen nach den Ferien abermaliges Gekritzel!
Seien Sie glücklich u froh mit Ihrer lieben Familie.
Treu ergeben
Lewinsky

  Absender: Lewinsky, Josef (2591)
  Absendeort: Wien
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 4
Briefwechsel Clara Schumanns mit Maria und Richard Fellinger, Anna Franz geb. Wittgenstein, Max Kalbeck und anderen Korrespondenten in Österreich / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Klaus Martin Kopitz, Anselm Eber und Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2020
ISBN: 978-3-86846-015-5
697ff

  Standort/Quelle:*) D-B, s: Mus. Nachl. K. Schumann 2,8
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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