23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 18932
Geschrieben am: Sonntag 25.07.1869
 

Interlaken d 25t Juli 69
Hôtel Ober
Geliebte verehrte Freundin!
Um Gottes willen was haben Sie nur gemacht! in der Weise ausruhen nach einem angestrengten Winter sollten Sie Anderen überlassen die Zeit für dergleichen haben. Aber doch wollen wir Gott von Herzen danken daß es nicht die lieben Hände betroffen, das war mein erst [sic] Gefühl bei der sehr bedauerlichen Nachricht die uns gar nicht aus dem Kopfe will. Wie aber stellen Sie bei Ihrer Sicherheit es nur an von einer Treppe herunterzufallen? (bei Ihnen selbst?) das hätte ich Ihnen aber so wenig zugetraut als daß Sie falsch den Pedal treten könnten, oder sonst einen faut pas machen. Einzig liebe Frau so geht’s, wer den Schaden hat darf für den Spott nicht sorgen, sagt man; bei mir ist es wahrhaftig nicht Spott, sondern eine Freude daß Sie so glücklich davongekommen. Wäre ich hinuntergefallen, was hätte ich mir da nicht alles gebrochen, ich will alle die Glieder nicht aufzählen um Sie nicht zu ermüden, aber eine Menge wären es geworden; u daher bin ich doppelt froh Sie werden doch nicht etwa glauben darüber daß Sie – u nicht ich, Gott bewahre! nein daß Sie dem Arzt nicht für zu lange in die Hände gefallen, u ihm bald zu entlaufen gedenken. Also auf den Rigi steigen Sie, es ist mir dieser Entschluß sehr angenehm, theils aus egoistischen Rücksichten theils weil ich voraussetzen kann daß es Ihnen oben wohlergehen wird u für Ihre Nerven von nachhaltigen Folgen. Die große Reise nach Gastein in dieser Hitze, hätte Sie sicher sehr angegriffen wir hatten unsäglich gelitten, u bedurften mehrerer Tage um uns wieder zu erholen. Wir sind nicht an jenem Abende gereist an welchem wir von Ihnen schieden, wie wir es uns vorgesetzt, meine Schwägerin bekam so starke Migräne daß wir ihr die Nachtruhe nicht entziehen durften, da sie innerlich doch sehr schwächlich. So reisten wir Tags d’rauf, Sontag Mittag in der größten Hitze, weil wir nun nicht den ganzen Tag verlieren mochten, u Nettchen zu angegriffen war um sie so früh wie der Frühzug es befiehlt, herauszustöbern. Wie schön wäre es gewesen wenn wir noch ein Stündchen länger in Ihrem trauten Kreise hätten leben können. Der Anblick, Sie geliebte unvergleichliche Frau von Ihren lieben Kindern umrundet in Ihrem schönen grünen Home zu sehen, ist mir u meinem Manne eine solche Herzensfreude wie ich es namentlich müntlich [sic] auszudrücken gar nicht im Stande bin. Wie ein Gedicht zieht dieses Bild meiner Erinnerung vorüber, wirkt aber für die Befriedigung meines Gemüthes tiefer, als die meisten der Gedichte. Nur eine Sehnsucht ist mir geblieben an der wir selber schulden aus Bescheidenheit: daß wir Sie nicht ein wenig spielen gehört u gesehen. Daß Sie vor vielerlei Sorgen u Beschäftigungen selbst in den Tagen der Erholung nicht frei sind thut mir wehe, u doch muß man da ruhig zusehen da Sie sich wohl von Niemanden helfen lassen weil Sie sind was Sie sind, u Alles durch Ihren eigenen Kopf u Hand gehen muß was Sie ja auch noch vor Vielen auszeichnet; aber daß Sie jetzt wohl Nichts so ernst beschäftigt als daß Sie Frl. Julie Ihr liebes Kind hingeben sollen, das fühlte ich Ihnen an, u mit tiefster Theilnahme blickte ich auf Sie, u die beglückte Braut. Sie aber edle Freundin die Sie nur für Ihre Kinder leben, werden zugestehen müssen daß dies schöne Ereigniß die glücklichste Lösung ist für Ihr liebendes Kind, u daß Sie den Schmerz der Trennung willig tragen wollen für das Glück das ihr mit Gottes Hilfe bevorstehe, u außerdem ist diese Wahl so ehrenwerth daß Sie auch selbst eine Genugthuung darin finden werden. Lassen Sie mich gütigst z Z doch wissen, wann die Vermählung stattfindet. Von uns kann ich Ihnen Gutes melden; wir sind prächtig logirt, genießen ungenirt den Reiz eines Gartenlebens – u Morgens Wolken zu denen wir einen guten Glauben haben. Unter den Gästen meist Engländer u Amerikaner, haben wir bis jetzt nichts gefunden was unsere erwünschte Ruhe u Einsamkeit unterbrechen könnte. So leben wir denn sehr behaglich, schreiben u lesen, flicken u nähen, flechten u ect. essen u naschen. Aber schon melden sich Berner Freunde die es durch die Liste entdeckt. Wie schön u glücklich wäre es dürften wir Sie bald hier erwarten, u sagten Sie uns ein Wort zur Vorsorge – u Vorfreude. Wir bleiben noch 14 Tage hier, u gehen dann zum Familiencongreß nach Nauheim, ziemlich flink, weil Steinthal diesmal etwas früher schließt u wir ihn nicht ohne seine Eva wollen allein im Paradiese herumwandeln lassen. Leben Sie herzlich wohl, mit allen geliebten Kindern die ich herzlich grüße; u geruhen Sie bald nun einer erquikkenden Erholung entgegenzusehen!
Ihre Sie innig verehrende
u treu liebende
Sara Lazarus

Meine Schwagerin [sic] grüßt Sie u Ihre lieben Kinder herzlich, u dankt mit uns für freundliche Aufnahme.

Verehrte, liebe Freundin!
Die Vorsehung hat ihre eigenen pädagogischen Methoden; um uns darüber zu belehren, wie glücklich wir uns auch ohne besonderen Anlaß schon darum allein fühlen sollten, weil wir mit unserem so wunderbar zart u deshalb so leicht gebrechlich organisirten Körper dennoch heil und mit gesunden Gliedern leben u schaffen –; muß einer oder der andere an sich demonstriren lassen, wie viele Gefahren uns umlauern u wie vielen wir täglich entgehen. Dass es dabei wie in der Schule hergeht, wo von allen Excercitien Eines hergenommen wird, um daran die Belehrung zu knüpfen, das ist fast schlimm; schlimmer aber noch, dass es die Vorsehung nicht wie die gewöhnlichen Lehrer macht, sondern wie die gescheidten. Gewöhnliche Lehrer nehmen immer die schlechteste Arbeit in der Classe zur Belehrung durch; unser Lehrer des deutschen Aufsatzes auf dem Gymnasium aber der nahm immer den besten vor, um durch denselben zu belehren. Sehen Sie! liebe Freundin! weil Sie der Besten Eine sind, zeigt man Ihnen u uns Allen, an Ihnen Selbst, wie wir uns Alle der gnädigem Erhaltung Ihrer im Schaffen wie in der Bildung kunstvollen Glieder erfreuen, wie wir für Ihre Gesundheit dankbar sein sollen. Nun wollen wir dies recht von Herzen thun; und wenn Sie, wie wir hoffen, hierher kommen, recht vorsichtig aber auch recht heiter und wohlgemuth dieses schöne Stück von Gottes schöner Erde betrachten und unser Gemüth erfrischend damit neu erfüllen. Wir hoffen, dass Ihr Arzt ein wahrer Prophet ist u Sie bald aufbrechen können, um die Höhen des Rigi zu besteigen, vorher aber mit dem Wiedersehen zu erfreuen
Ihre treu ergebenen Freunde
Lazarus
Freundl. Grüße allen Ihren lieben Kindern.

  Absender: Lazarus, Sarah (918)
  Absendeort: Interlaken
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 18
Briefwechsel Clara Schumanns mit Korrespondenten in Berlin 1856 bis 1896 / Editionsleitung: Thomas Synofzik, Michael Heinemann / Herausgeber: Klaus Martin Kopitz, Eva Katharina Klein und Thomas Synofzik / Köln: Verlag Dohr / Erschienen: 2015
ISBN: 978-3-86846-055-1
181-184

  Standort/Quelle:*) D-B, s: Mus. Nachl. K. Schumann 2,275
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



Wir verwenden Cookies, um Ihnen den bestmöglichen Service zu gewährleisten (Mehr Informationen).
Wenn Sie auf unserer Seite weitersurfen, stimmen Sie bitte der Cookie-Nutzung zu. Ich stimme zu.