23.01.2024

Briefe



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ID: 18925
Geschrieben am: Sonntag 11.08.1867
 

Rigi-Kaltbad d 11ten August 67.
Verehrte geliebte Freundin!
Einige Stunden vor dem Eintritt Ihres lieben Briefes machten wir die flüchtige Bekanntschaft der Damen die Sie uns in Ihrem Briefe freundlich vorstellen, u wir waren herzlich erfreut über Sie zu hören, von Ihnen sprechen zu können, zu Menschen die Sie lieben, die tieferes Interesse für Sie hegen. Um so inniger aber waren wir durch Ihre gütige Zuschrift erfreut; vernehmen wir doch daraus daß Sie unsere Empfindungen u Neigung einmal wieder etwas zusammen leben zu mögen theilen. Unzählige Male sprachen wir den Wunsch u das Bedauern aus Sie in unsrer Nähe zu haben, u Sie dennoch nicht einladen zu dürfen. Denn wir hatten hier oben schreckliches Wetter, bei heftigem Regen 4 °[?] zu kalt um sich zu rühren, wie die Kaninchen hockten wir zusammen, u kaum daß man sich Nachts, u bei Tisch erwärmte; selbst zum Hinabsteigen war es unmöglich, so sehr wir uns danach gesehnt, dazu noch eine höchst unangenehme Fr. höchst elegante Gesellschaft die mindestens (aber ohne jede Uebertreibung[)] 4 Mal des Tages Toilette machten, u durch ihr lautes Benehmen den Platz u Alles beherrschten. Es würde Sie weidlich geärgert haben, u Nichts hätte Sie entschädigt, bis endlich vor zweien Tagen prachtvolle Wärme Wärme uns entschädigt u wir zu den gepackten Koffern sagten, nun wartet noch einige Tage wir wollen erst einmal warm werden hier oben, u von dem Sonnenschein uns all das erlittene Unbill vergelten lassen; denn natürlich ist man auch die Gesellschaft los, sobald man sich weiter fortbewegen kann. Daß wir aber überhaupt jetzt u zuerst auf dem Rigi, ohne Sie zuvor in Baden begrüßt zu haben, hat folgenden Grund. Unser Reiseplan hatte sich später geändert; wir gingen nach Ischl, u über den Bodensee hier her in der Voraussetzung daß mein Mann seine Nerven hier ganz besonders stärken würde. Es ist bis jetzt von der Erfüllung dieser Absicht Nichts zu bemerken, sondern im Gegentheil befand er sich in Ischl wohler u heiterer, u hoffen daß diese Tage die am Montag schon enden sollen, noch Gutes leisten werden. Auf den Rigi zu gehen hatten Sie liebe Freundin diesmal nicht die Absicht, nur hatten wir gehofft mit Ihnen noch 8 Tage etwa im Berner Oberlande zusammen leben könten [sic], doch machte uns das böse Wetter immer wieder schwankend zu schreiben zu bitten, um so mehr da Sie diese Absicht nur schwach zu erkennen gaben, u uns das böse Wetter die Zeit verregnete die wir vor unserer Pariser Reise der Schweiz widmen konten [sic]. So war denn für dieses Jahr unsere Hoffnung mit Ihnen wieder einmal ein idyllisches Leben zu führen, eine vergebliche gewesen, u so hofft man weiter u weiter u das Leben bleibt einem endlich so Vieles schuldig daß es kaum Alles tilgen kann was es an Unerfülltem angehäuft. Sie wissen liebe Freundin daß wir den Verkehr mit geliebten Menschen als das Höchste schätzen, u wissen auch mehr als ich es sagen kann daß Sie uns unaussprechlich theuer, wir sie [sic] geliebt seitdem wir Sie kennen, u je besser je mehr mußte sich unsere Anhänglichkeit für Sie entwickeln. Ich bedaure es oft mit einer Art Schwermuth nicht mehr musikalisch zu sein, weil ich mir einbilde Ihnen dann lieber zu sein Ihnen mehr bieten zu können, Ihnen innerlich näher zu treten da ich Sie wir Sie nicht mehr entbehren können, so wenig wir von dieser stillen Liebe auch laut werden lassen. Hier oben haben wir oftmals Gelegenheit gehabt von Ihnen zu Gleichgesinnten zu sprechen, u weil der Rigi grade der Ort der Sie uns finden ließ, sind Sie uns hier fortwährend gegenwärtig. Neulich besuchten uns Stockhausens, sie wohnen in Fützenau [sic] unweit Weggis am Vierwaldstättersee. Wir haben uns recht drüber gefreut, u bedauert Sie nicht gegenwärtig zu haben; Frau Stockhausen ist magerer geworden aber kräftig, hingegen fand ich H Stockhausen nervöser als sonst, u er soll es im Winter viel mehr noch gewesen sein, u sich nur erst hier sehr erholt haben. Ueber seine künftigen Pläne ist er noch sehr unentschieden, die Uebersiedelung nach Berlin herausgeschoben. – Mein heutiger Brief giebt Ihnen einen eben so ungeregelten Begriff unseres Lebens hier u unserer ferneren Absichten, wie die Ruhe zum Schreiben eine sehr unterbrochene ist. Musik, Geplauder aus allen Ecken stört unwillkürlich den Zusammenhang, wir müssen u werden nach Baden kommen, Sie in Ihrem trauten Daheim aufsuchen u Alles mündlich nachholen. Ich weiß nicht ob wir Ihnen dann noch begegnen, denn ich bilde mir ein daß Sie später – doch noch irgend einen Ausflug machen werden, u wir Sie am Ende nach der Pariser Reise nicht mehr auffinden, es wäre mir unendlich Leid, aber vielleicht doch noch möglich Ihnen irgendwo zu begegnen, wenn Sie uns mit Ihren Absichten schriftlich vertraut machen wollten. Gestern machten wir bei bedrohlichem Himmel mit den Damen Fr. List etc. eine kleine Parthie nach Rigi-Staffel; wir kamen unter Donner u Blitz, aber trocken heim, u von der eigenthümlichen Aussicht sehr befriedigt. Ich bedaure daß unsere Bekanntschaft nicht älter zu werden begünstigt, da wir Morgen wills Gott unwiderruflich fest von dannen ziehen, in Bern ein wenig bleiben müssen u zu bestimmter Zeit von Paris zurück in Berlin einzutreffen gedenken. Die Damen List u Frau Pacher sprachen von Ihnen mit großer Verehrung was sie uns zunächst recht angenehm gemacht. Zu meinem großen Bedauern habe ich gehört daß Ihre liebe Julie wieder leidend u in Schwalbach ist, Gott wolle sie bald völlig herstellen u Ihrer geliebten Familie Alles gewähren was das Herz begehrt. Gottbefohlen! Ihre Ihnen treu u herzlich ergebene Freundin Sara Lazarus

NB Frl. List wollte einige Zeilen einlegen hat aber mit Ihrer Schwester u Nichte eine Landparthie gemacht mit Ellisens u Anderen, denen sie sich angeschlossen daß sie dazu nicht gekommen, wir gehorten [sic] nicht zu der Parthei. Nettchen grüßt!

  Absender: Lazarus, Sarah (918)
  Absendeort: Rigi-Kaltbad
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 18
Briefwechsel Clara Schumanns mit Korrespondenten in Berlin 1856 bis 1896 / Editionsleitung: Thomas Synofzik, Michael Heinemann / Herausgeber: Klaus Martin Kopitz, Eva Katharina Klein und Thomas Synofzik / Köln: Verlag Dohr / Erschienen: 2015
ISBN: 978-3-86846-055-1
158ff.

  Standort/Quelle:*) D-B, s: Mus. Nachl. K. Schumann 2,223
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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