23.01.2024

Briefe



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ID: 18790
Geschrieben am: Donnerstag 05.07.1860
 

Liebe Frau Schumann

Soeben war ich bei Dr Breusing; die Kinder waren ausgegangen, aber durch ihn erfuhr ich, daß die Ferien erst am 15ten d. M. anfangen. Ihre Annahme musste also auf einem Mißverständniß beruhen. Für Ihren Zweck paßt ja aber gerade die erwähnte Erholungszeit am besten, und ich will also den Kindern wenn sie mich in diesen Tagen besuchen, wie Dr B. versprach, vorläufig erzählen wie schön es bei Ihnen ist. Ja wirklich reizend war der Aufenthalt, vom Stübchen im Thal mit den Bach’schen Suiten bis zur höchsten Spitze der rothen Felsen; und ich werde noch oft im Leben daran denken! Wir konnten uns auch nicht entschließen ganz direkt mit der Eisenbahn auf einen Ruck in die Einsamkeit der Studirzimmer hinein zu rutschen; wir fuhren erst nur bis Bingen, von da giengen wir, die Ränzel auf dem Rücken nach Bacharach. Unterwegs besuchten wir Sonneck, und kletterten auf Leitern und Gerüsten alles aus, bis zur Thurmspitze! Die Burg wird für die Königl. Familie ganz ausgebaut. Obwohl wir zur Mittagszeit wanderten hatten wir nicht von Hitze zu leiden, der Himmel war sanft umwölkt, und am Rhein hin wehte lieblich frische Luft. Es giebt doch nichts Schön’res als zwischen Wald und Weingärten abwechselnd mit einem treuen, guten Kameraden hinzuwandern. Ich hoffe den Sommeraufenthalt recht zu genießen. Heute früh haben wir schon musicirt, durch äußere Veranlassung; Dr Becker reiste ab, und da wir ihn gern mochten wollten wir ihm vorher noch etwas Angenehmes erzeigen. Ich spielte Schumann’s Phantasie, und Joh. viel Fugen aus dem wohltemp. Klavier, auch ich einige Bach’sche Stücke. Nachher giengen wir zusammen die Begleitung zu den Violoncellsonaten durch, natürlich ohne Zuhörer. Da ich mir gewissenhafte Aufrichtigkeit gegen Sie zur Pflicht mache, darf ich nicht anders handeln als nach abermaligem Durchgehen der Arbeit die Hoffnung Ihnen auszusprechen, daß Sie an Schuberth kein festes Versprechen der Veröffentlichung gegeben haben mögen. Ich hatte bei der Revision in Hannover manches angestrichen, das ich zu ändern wünschte, bei andern Stellen hatte ich gehofft, Johannes würde meine Bedenken zu scrupulös finden – aber dieser unser Freund ist in allem was ich an Bedenken sagte ganz mit mir einverstanden, ja er hat mit seinem scharfen Verständniß und mit seiner tiefen Bachempfindung auch mich von vielem Unbach’schen überzeugt, das ich nun nicht mehr stehen lassen möchte! – Kurz – ich muß nun wirklich ganz ernsthaft von der Publikation abrathen, so <> wehmüthig es mir auch bei dieser Pflichterfüllung an dem geliebten, theuern Meister ist, andessen [sic] Werken ich ja noch täglich mit neuer Verehrung und Dankbarkeit für so viel Herrliches hinaufblicke. Grade aber weil die Lorbeerblätter an dem Kranz der Unsterblichkeit, den ihm die Nachwelt gewunden, so dicht und frisch sind, dürfen wir nicht meinen mit Nachsicht ein welkes Blatt noch hinzutragen zu sollen, statt es den Blicken der musikalischen Welt mit wachender Liebe zu entziehen. – Schuberth braucht man ja das „Warum“ nicht zu sagen; er verdient ja mit seiner ausbeutenden Marktschreierei nicht, daß wir ihm unsere innerste Meinung preisgeben. Sie könnten ihm einfach schreiben, daß sich bei Vergleichung mit demBerlinerBach’schen M-Script. zu viele Differenzen ergeben hätten, und daß bei der Genauigkeit der Kritik mit der man jetzt bei Herausgabe von Bach’s Werken verführe, nur Schumann selbst darüber hätte entscheiden können, was an der Begleitung dem zufolge geändert werden sollte oder nicht. So Jemand ist immer leicht abzufertigen! Sie werden wohl jetzt allmälig in’s Concert, und ich wünsche Ihnen einmal im Leben das trübste Wetter dazu! Lassen Sie hören wie’s ausgefallen, da wir leider nichts anderes davon hören können. Ich grüße Sie und die lieben Kinder von Marie bis Felix herzlichst und verbleibe, verehrte
Freundin
Ihr altergebener
J. J.

Ihro Wohlgeboren
Frau Dr Klara Schumann
Kreuznach
Kleiner Berliner Hof.
fr.

  Absender: Joachim, Joseph (773)
  Absendeort: Bonn
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 2
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Joseph Joachim und seiner Familie / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Klaus Martin Kopitz / Dohr / Erschienen: 2019
ISBN: 978-3-86846-013-1
531ff

  Standort/Quelle:*) D-B, s: Mus. Nachl. K. Schumann 2,13
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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