Liebe theuere Frau Schumann!
Eine Traurigkeit war über mich gekommen, so lähmend dass ich mich am liebsten auf Nimmerwiedersehen in eine Einsamkeit vergraben hätte! Was soll ich sagen: mir ist der letzte Mensch genommen mit dem und für den ich gearbeitet habe; mit ihm schwand meine Kraft und mein Gewissen, ich erschien mir wie vernichtet. Langsam hebe ich mich empor, mehr aus Instinkt als aus Lebenslust; ich zwinge mich zur Arbeit, und werde auch diesmal gesunden. Hat mich doch die Natur mit merkwürdiger Elastizität ausgestattet – zu welchem Zweck? Ich danke Ihnen von Herzen, dass Ihr liebes Wort mir auch in dieser Prüfung nicht gefehlt hat; welch ein Trost liegt darin, dass die Übrigbleibenden immer näher zusammenrücken, die Bande die sie verbinden durch jeden Verlust stärker werden! Mögen Sie einem guten Sommer entgegengehen und nicht allzulange zögern, der Stadt den Rücken zu kehren! Wir brechen Anfang Juni auf, bleiben 1 oder 2 Tage in München, wo ich die Marmorbüste Lisl’s bei Hildebrand fertig sehen werde, und eilen dann nach Heiden. Den Juni und grössten Theil des Juli sind wir allein – da wäre es recht schön und erquicklich, mit Ihnen ein par Tage im ,Abendroth‘ zu verleben! Ein bischen sind Sie mir’s schuldig vom vorigen Jahr her, gelt? Sie finden ein vortreffliches italienisches Riesenbett und so viel Stuben wie Sie haben wollen; Ihre beiden Töchter können wir leicht unterbringen, wie wäre das? 17. 18. 19. Juni sind wir vielleicht in Basel (Beethovenfest mit Joachim) am Ende könnten wir Sie dann dort abholen?? So lässt man einen Luftballon steigen, um die Gegend zu recognosciren; hoffentlich entdecke ich ein lichtes Pünktchen in der Ferne!
An Frl. Marie und Sie die herzlichsten Grüsse von mir und Helene H.!
In unwandelbarer Verehrung u Freundschaft
Ihr
Herzogenberg
Berlin 21. Mai 94
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