23.01.2024

Briefe



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ID: 18599
Geschrieben am: Donnerstag 06.05.1880
 

Florenz den 6. Mai 80.

Meine theure Frau Schuman!

Lassen Sie sich heute endlich Dank sagen für den lieben Brief mit dem Sie mich hier erfreuten u. gleichzeitig nochmals der innigen Theilnahme versichern, mit der wir Ihrer an dem schönen Festtage gedachten den Sie neulich feierten. Wie freue ich mich davon etwas zu hören, ich rechne auf Fillus Güte die ich heute um Nachricht über den Ablauf der Feier bitte. Für mich war es neulich hart hier zu sitzen während Sie draußen im Reich ein so liebes Fest, bei dem jedem ehrlichen Musikanten das Herz im Leibe höher schlagen müßte, begingen. Wir hatten uns in Leipzig so fest vorgenommen, dazu nach Bonn zu fahren u. wenn nicht dann die italienische Bombe in’s Haus gefallen wäre, die alle andren Pläne zu nichte machte, so hätte uns auch nichts daran gehindert. Ich kann sagen daß meine ganze italienische Freudigkeit neulich flöten ging u. ich ganz wehmüthig hier auf den Arno guckte, undankbar gegen alles was ich sonst so in vollen Zügen genieße; es kam mir gar so unnatürlich vor, an dem 2ten Mai hier zu sitzen! Volklands waren gewiß ihrer Absicht treu geblieben, nach Bonn zu kommen; hätte ich sie weniger lieb, ich beneidete sie recht garstig darum. Wir sollen Sie also wirklich nicht in Berchtesgaden sehen – im <s>Stillen, in einem Winkelchen unsrer Seele, wo nur die Wünsche, ohne zurechtsetzende Vernunft lebendig sind, hatten wir doch immer noch eine kleine Hoffnung gehegt – aber was soll man freilich sagen, wenn Sie zu der traurigen Einsicht gekommen, daß die dortige weichliche Luft Ihnen nicht zuträglich ist? Den bösen Rheumatismus dürfen Sie aber Berchtesgaden nicht in die Schuhe schieben; an dem war gewiß Gastein, von dessen tückischer Art ich nun schon wiederholte Beispiele gesehen habe, <G>ganz allein Schuld. – Mir mit meiner Neigung zu kurzem Athem ist nun grade die Lage Berchtesgaden’s so angemessen u. ich freue mich sehr auf den lieben schönen Ort, aber ich fürchte mich vor Ihrem Haus in dem uns dann alles an bessre Zeiten erinnern wird! Wie gut es uns hier geht kann ich Ihnen gar nicht sagen denn ein Reisebeschreiber bin ich nicht, u. kann man denn auch je das Wesen der Dinge beschreiben – es ist ein einziges Land dies Italien u. man wird nicht fertig zu staunen dass ein paar Jahrhunderte so vieles zu Stande brachten u. ein paar folgende Jahrhunderte, die doch im zerstören so emsig waren, nicht mehr zerstörten. Die Fülle des noch Vorhandenen ist so groß dass wir armen Kinder des 19. Jahrhunderts, denen die Schönheit nur ein Luxusbedürfniß geworden, kaum begreifen können, dass es Zeiten gab, denen das was wir anstaunen wirkliches Bedürfniß war u. als selbstverständlich galt – wer brauchte das viele Schöne? frägt man sich <oft> unwillkürlich, wenn man hier durch die Straßen schlendert, wo man oft Mühe hat, das viele reizende zu erfassen das sich gleichzeitig dem Auge darbietet – (u. die Frage liegt nah, wenn man aus unserm Norden kommt wo man doch mit Wenigem auskommt! –) u. indem man so denkt, biegt man um eine neue Straßen-Ecke, ist sofort in Anspruch genommen von irgend etwas Anmuthigen oder Großartigen dessen verschwenderische Fülle einem eben noch zu denken gab, u. an der Art wie man es als
etwas Vertrautes begrüßt, merkt man dass man selber schon verwöhnt, dass man selber das Schöne braucht. Ja wenn man sich hier umschaut wo das Schöne wie die Feigen u. Citronen, wild wächst, da kann es einem freilich manchmal vorkommen, als wär unser Norden mit seinen Holzäpfeln, seinem grauen Himmel u. seinen spärlichen Brocken von Schönheit ein armseliges Land, u. doch möchte ich hier auf die Länge nicht leben, wo wiederum das was uns Bedürfniß ist, was eben so zu uns gehört wie die Luft die man athmet, die Musik, so armselige Blüthen treibt; u. als ich neulich einmal, voll gesogen von ein paar mächtigen Eindrücken die ich empfangen, nach Haus kam u. es mir scheinen wollte, als <>könnte man doch nur hier leben wo so herrliches entstanden u. zu immer erneuter Freude einen umgiebt – da setzte ich mich an das Klavierchen das meine gute Schwester uns ins Zimmer gestellt u. blätterte in ein paar mitgebrachten Noten – einige Hefte Bach u. Schumann u. das deutsche Requiem u. da wurde mir ganz weinerlich gerührt zu Muth u. ich empfand es ordentlich als eine undankbare Schufterei dass ich je wo anders leben möchte, als da wo Solches entstanden u. lebendig weiter lebt u. webt! Und in solcher Stimmung traf mich noch der 2. Mai u. deshalb war mir’s gar so schwer, hier still zu halten! Aber eben so innig u. liebevoll wie irgend einer hab ich in der Stille hier mitgefeiert u. dem lieben Robert Schumann gedankt dass er war u. ist u. aller hohen Freuden gedacht die ich ihm seit meinem 13. Jahre schon verdanke, wo ich zuerst von dem Zauber seines Wesens berührt wurde, als mir einer die Eichendorfschen Lieder lieh. Ich erinnere mich daran als wenn’s heute wär, wie ich sie nicht mehr aus der Hand lassen wollte u. doch mußte, denn es war grade als wir von einem Sommeraufenthalt in Graz wieder nach Haus reisten u. der Betreffende wollte sie wieder haben, u. ich weiß wie ich mich dann drüber machte u. sie flugs auswendig lernte, die ganzen zwei Hefte in einem Saus u. wie ich froh war dass das so fabelhaft rasch ging weil mich die Musik eben schon hatte ehe ich sie hatte u. wie ich dann immerfort die herrlichen Lieder in mir singend nach Wien fuhr – von dieser ersten kindlichen u. doch so starken Freude bis zu der Erregung die man im Faust u. Manfred empfand – was verdankt man ihm nicht alles! Und Sie theure Frau die Sie nicht allein als empfindender Mensch u. Musiker zuhörten neulich als der Faust bei so feierlicher Gelegenheit an Ihnen vorüberklang – was muß erst in Ihrem Innern vorgegangen sein. Doch nun leben Sie wohl Sie Liebe Verehrte, haben Ihnen denn nicht die Ohren geklungen am 1. Mai wo wir bei Hildebrands mit Fiedlers auf Ihr Wohl anstießen u. vorher als ich mit Hildebrand einen ganz begeisterten kl. Solo-Anstoß auf Sie hatte? Ich mußte ihm so viel von Ihnen erzählen u. er hörte so lieb zu, mit seinem guten offenen Blick u. ich erzählte so gern! Es war mir ganz eigen zu beobachten <d> wie dieser Künstler, der Sie doch nie gehört u. nur einmal gesehen, doch so viel aus Ihnen herausgeguckt hatte u. so viel von Ihrem wirklichen Wesen erkannte – ich will Ihnen nicht alles wieder sagen was wir uns anvertrauten denn solche Dinge sagt man nicht in’s Gesicht. Behüt Sie Gott Sie die Sie auch keine Florentinerin sein könnten u. an die ich auch denke, wenn ich mich freue daß ich mit dem Besten was ich habe nach Deutschland gehöre
Einen innigen Gruß an die Kinder
behalten Sie uns lieb, wir brauchen das!
In alter Treue
Ihre
Lisl H.

  Absender: Herzogenberg, Elisabeth von (691)
  Absendeort: Florenz
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 15
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit den Familien Voigt, Preußer, Herzogenberg und anderen Korrespondenten in Leipzig / Editionsleitung: Thomas Synofzik, Michael Heinemann / Herausgeber: Annegret Rosenmüller, Ekaterina Smyka / Köln: Verlag Dohr / Erschienen: 2016
ISBN: 978-3-86846-026-1
457-461

  Standort/Quelle:*) D-B, s: Mus. Nachl. K. Schumann 4,31
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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