23.01.2024

Briefe



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ID: 18319
Geschrieben am: Freitag 16.12.1881
 

München 16. Dez. 81.
Liebste, verehrte Frau Schumann
Verzeihen Sie meine Zudringlichkeit, aber ich kann nicht anders, ich muß es Ihnen sagen, wie es mir um’s Herz ist. Ich kann es gar nicht glauben, daß wirklich nun schon Meilen u. Meilen zwischen uns liegen; als ich heute Vormittag zurück in die Bibliothek kam, dachte ich immer, ich müßte Ihre liebe Stimme im Nebenzimmer hören, Sie müßten mir wie die vergangenen Tage so lieb u. freundlich entgegenkommen; aber statt dessen nur Alles verödet u. leer u. ich hätte mich am Liebsten in Ihr Zimmer gesetzt u. geweint wie ein kleines Kindl; trotz allen Zusammennehmens konnte ich auch das Weinen nicht ganz unterdrücken u. ich schäme mich deßhalb aber gar nicht, obgleich es doch wohl recht unbescheiden ist, daß ich Sie |2| bis in Ihr Heim mit meinem Jammer über Ihre Abreise verfolge. Könnte ich es Ihnen nur so recht sagen, wie sehr ich mich nach Ihnen sehne, wie ich nur ganz in den schönen vergangenen Tagen ihres Hierseins lebe. Sie können es gar nicht wissen, wie sehr Sie uns beglückt haben, liebste Frau Schumann, dadurch, daß Sie sich bei uns behaglich gefühlt u. unsere schwachen Versuche, Ihnen ein nicht zu ungemüthliches Heim zu schaffen, so freundschaftlich aufgenommen haben. Nun erlauben Sie mir, daß ich Ihnen in wenigen schlichten Worten auf’s Innigste dafür danke; fehlen mir auch jetzt wieder die richtigen Worte, wie gestern Abend, als ich von Ihnen Abschied nehmen mußte, meinen Gefühlen den richtigen Ausdruck zu geben, so entnehmen Sie das gewiß aus diesem erbärmlichen Stammeln, wie von Herzen ich Sie liebe u. verehre u. wie ich es Ihnen nie genug danken kann, daß Sie mir gestatten, Ihnen dies sagen zu |3| dürfen.
Jetzt, wie ich diese Zeilen schreibe, haben Sie die Reise überstanden u. sitzen gewiß behaglich am Theetisch; vielleicht wird dann auch unser Name genannt u. es soll mir ein kleiner Trost sein, daß sie unser dabei freundlich gedenken; – warum müssen auf solch’ schöne, unvergeßliche Tage, auch traurige kommen; ich kann mich nicht dareinfinden, daß Sie nun wirklich fort sind u. wieder das Alltagsleben anfängt; seien Sie mir nur ein klein bischen gut u. verzeihen Sie mir, daß ich Sie so furchtbar lieb habe, u. meinem Herzen nicht Stillschweigen gebieten kann.
Nochmals Dank, tausend innigen Dank, <von[?]> daß Sie bei uns waren u. uns erlauben Sie zu verehren – Mein Mann u. ich, wir sitzen traurig vor einander u. können uns nicht entschließen Ihr Zimmer zu betreten. Viele innige Grüße Ihnen, liebste, theure Frau Schumann u. Eugenie, ebenso für Marie
In treuer Liebe u. Verehrung
Ihre Mary F.

  Absender: Fiedler, Mary (450)
  Absendeort: München
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Empfangsort: Frankfurt am Main
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 8
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit der Familie List und anderen Münchner Korrespondenten / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Ekaterina Smyka / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-019-3
932f.

  Standort/Quelle:*) D-B, s: Mus. Nachl. K. Schumann 4,146
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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