23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 18315
Geschrieben am: Dienstag 30.12.1890
 

Wien,
III. Apostelgasse 12.
29. Dez. 1890.
Liebste, theuerste Frau Schumann!
Das Jahr geht zu Ende – da darf ich noch einmal zu Ihnen kommen, und Ihnen unser Aller herzinnigste Glück- u. Segenswünsche für’s neue Jahr bringen! Möge es ein gutes, reich gesegnetes Jahr für Sie werden, u. Sie mit Ihren Lieben gesund, und uns noch lange Jahre geschenkt bleiben! Durch Anna Franz hörte ich zu meiner großen Freude, daß der Herbst ein guter für Sie zu nennen war. Wie froh machte uns dies, ebenso wie es die Nachricht that, daß unsre theuerste |2| liebste Frau wieder so herrlich das Chopin’sche Conzert gespielt! Solche Nachrichten haben neben aller Freude nur einen starken Beigeschmack von Neid für uns, Neid gegen Alle, die in Ihrer Nähe sein dürfen, was uns nun wieder so lange Jahre versagt blieb. Immer und ewig nur auf die eigene Gesundheit denken zu müssen, ist oft furchtbar langweilig, das empfinde ich nun schon seit <3[?]>2 Jahren, seit ich so zu sagen alles Schöne, was bis jetzt mir die höchste Freude (neben der Pflichterfüllung) im Leben gewährte, entbehren muß. Wohl darf ich dankbar sein, daß es mir in diesem Winter besser geht, u. ich bis jetzt noch ohne Rheumatismus geblieben bin; ein Zeichen, |3| daß meine Badekuren in Abbazia u. Misdroy von Erfolg begleitet sind. – Nun holte ich mir aber Anfang’s November bei meinen täglichen Ausgängen einen Lungenkatharr, der mir furchtbar lästig war, u. den ich heute noch nicht los werden kann. Wenige Tage zuvor war ich zum erstenmal Abend’s im Quartett Rosé, wo das neue Brahms-Quintett gemacht wurde! Daß ich dies gehört, soll mich für den ganzen Winter entschädigen! Es ist doch ein ganz herrliches Werk, eine wahre Offenbarung unsres lieben u. großen Meister Brahms; wir sehen es als ein Ereigniß an, das mitzuerleben man als großes Glück empfindet! – das war wohl das erste u. letzte Conzert, das mir für diesen Winter wieder zu Theil wurde, u. ich bin doppelt dankbar, daß ich dies |4| neue Werk habe in mich aufnehmen dürfen, da ich die letzten Brahms’schen Werke wie z B. das Doppelkonzert bis heute noch nicht habe kennen lernen dürfen! Auch das Requiem kenne ich nur aus dem Klavierauszug, u. es wurde hier so herrlich aufgeführt! Mein lieber Mann ist auch vollständig von seiner Arbeit im Geschäft in Anspruch genommen, so vollständig, daß ihm zu allem Andern die Zeit u. Ruhe fehlt! Das thut mir gar oft leid; er hat Mühe u. Arbeit mehr als zu viel, aber keine Erholung, u. da es bei allen großen Erfolgen (das Geschäft ist enorm angewachsen –) auch nie an Aufregung u. Ärger fehlt, so scheint mir, fehlt manchmal das Gegengewicht, das die Waage hält, u. ich bin bange, daß eine derartige Thätigkeit auch die beste Gesundheit nicht allzu lange aushält! Neulich war m. l. Mann in Berlin, aber so in Anspruch genommen, daß er wieder |5| heimkam, ohne von meinen Geschwistern, Bargiel’s oder Hausmann’s Jemand gesehen zu haben! Ist das nicht unerhört? Dabei bin ich aber sehr froh u. dankbar, daß es ihm gesundheitlich doch noch bis jetzt gut geht, und daß er endlich auch einen wirklichen großen Erfolg seiner mühevollen Thätigkeit vor Augen sieht. Denken Sie sich, liebe Frau Schumann, daß mein l. Mann hier anfing mit einem kaufmännischen Beamten u. 2 – 4 Arbeitern – u. nun haben wir hier eine Riesenfabrik mit etwa 130 höheren Beamten, u. über 1000 Arbeitern! Bis das nach u. nach wurde, dazu gehörte das Einsetzen einer ganzen Arbeitskraft! – Gebe Gott, daß mein l. Mann an seinem Werk noch viele Freude erlebe!
Unsern Jungen geht es Gott Lob |6| auch recht gut. Sie haben viel zu arbeiten. Unser Ältester10 macht im Sommer seine Matura, u. soll dann auf die Universität nach Tübingen, wo er Philologie u. Kunsthistorik studiren will. Robert hat noch ein u. ein halb Jahre Schule <z> durchzumachen, – er wird wohl das Fach seines Vater’s einschlagen. Beide Jungen wollten Deutsche bleiben, u. müssen darum auch in Deutschland dienen, während m. l. Mann bereit’s Schritte thun musste, um Österreicher zu werden, was absolut bei einem derartigen Geschäft nöthig ist.
So lange habe ich nichts Näheres mehr über Ihren l. Sohn Ferdinand gehört; wie mag es ihm gehen, u. all’ die Zeit gegangen haben? |7| Wie wünsche ich Ihnen, liebe liebe Frau Schumann das Beßte für diesen hart geprüften Sohn!12 Mein l. Mann hat sich im vorigen Jahr einmal so herzlich an seinem Ferdinand’s ältesten Töchterchen Julie erfreut, d<as>ie er in Berlin traf, u. die so allerliebst sein soll!
Nun hoffe ich nur, daß Sie das neue Jahr so recht wohl und vergnügt antreten möchten, und komme halt wieder bitten: Bewahren Sie, theuerste Frau <!>uns Ihre Liebe, die uns der schönste u. erwärmendste Sonnenschein für’s Leben ist! Mit innigstem Gruß von m. l. Manne u. den Söhnen, küßt Ihnen in Gedanken die liebsten Hände
in wärmster Verehrung u. Liebe Ihre
Maria Fellinger

|8| Hochverehrte theuerste Frau!
Laßen Sie auch mich Ihnen die herzlichsten und besten Glück und Segenswünsche zum Jahreswechsel und die freundlichsten Grüße für Ihre lieben Töchter aussprechen und seien Sie versichert verehrte Frau
der dankbaren Ergebenheit
Ihres Dr R Fellinger.
30/12 90.

  Absender: Fellinger, Richard (444)
  Absendeort: Wien
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 4
Briefwechsel Clara Schumanns mit Maria und Richard Fellinger, Anna Franz geb. Wittgenstein, Max Kalbeck und anderen Korrespondenten in Österreich / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Klaus Martin Kopitz, Anselm Eber und Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2020
ISBN: 978-3-86846-015-5
276-279

  Standort/Quelle:*) D-B, s: Mus. Nachl. K. Schumann 6,52
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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