23.01.2024

Briefe



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ID: 18256
Geschrieben am: Donnerstag 17.05.1866
 

Monrepos, d. 17. Mai 66.
Meine liebe Frau Schumann!
Wie ungern nehme ich heute die Feder zur Hand, da ich Ihnen sagen muß: ich sehe Sie jetzt nicht wieder, nachdem ich doch ganz fest darauf gerechnet hatte! Ich habe mich seit lange nicht auf etwas so gefreut, als auf dieses Musikfest, u es schien mir nicht zu entgehen, da Billets u Wohnung bereits genommen waren, aber nun muß ich es versuchen, mich mit stoischer Ruhe in das Unvermeidliche zu finden. Außerdem liegt der jetzige Augenblick so schwer auf mir, daß noch eine Enttäuschung dazu sich wohl ertragen läßt. Ein Grund der mir diese Freude abschneidet, wäre mir unter andern Umständen so gar lieb; es ist die Ankunft meines Bruders, der aus dem Orient zurückkehrt. Leider hat er aber einen Begleiter, den jungen Architecten Kachel schwer krank in Athen zurücklassen müssen. Er selbst eilt über Marseille zurück, da der andere Begleiter, Hauptmann Mischke einberufen ist. Das ist also kein frohes Wiedersehen u es ist wahrlich kein Leichtes seine Heimath so wiederzufinden wie sie in diesem Augenblick aussieht, das kann nur einen sehr trüben Eindruck auf meinen Bruder machen.
Von der Krankheit meiner Cousine, Cathrine von Oldenburg haben Sie wohl gehört. Sie liegt seit Januar im Sterben u doch ist die Lebenskraft noch zu groß. Die Hitze u der Kriegslärm werden unerträglich, aber zu transportiren ist sie nicht. Es ist der jammervollste Zustand den man sich denken kann. Täglich warte ich auf die Todesnachricht, u wenn sie kommt, so darf ich nur dankbar sein. In all’ der Sorge u Trauer ist der schöne Flügel mein Trost u meine Freude. Der Teppich ist nun für den Sommer weggenommen u da suche ich wahre Orgeltöne aus seinen Saiten zu locken. Diesen Winter habe ich mir nun auch eine Zither angeschafft u habe in Wiesbaden herrlichen Singunterricht genossen bei Frau Wilhelmi. Ich habe wahrhaft in Musik geschwelgt, dort; fast jeden Abend war ich im Theater, habe also auch Opern gesehen, die Jedermann kennt, nur ich nicht, z. B. Don Juan!! – Es ist mir auch endlich der Wunsch erfüllt, Wagnersche Musik kennen zu lernen. Im Tannhäuser fand ich, trotz des großen Vorurtheils das ich dagegen hatte, doch einige Stellen unendlich ergreifend, der fliegende Holländer ist mir ein unverständliches Chaos. Dagegen hat mich Lohengrin so erschüttert, daß ich zuletzt geheult habe wie eine Schloßkatze. Und das will für mich viel sagen. Es hat so wunderbare, nie gehörte Accorde, die die Nerven eines gesunden Menschen angreifen müssen. Die wenigen Töne, das Zittern der Violinen vor Erscheinen des Schwans konnte ich zuletzt nicht mehr hören, ohne in Thränen auszubrechen. Das Lied vom h. Gral finde ich ergreifend schön, sowie das Lied der jungen Frau in der Nacht vom Balcon. Wagner muß doch von der einen Seite ein gewaltiger Mensch sein, aber gewiß ebenso zerrissen innerlich wie seine Musik. Als ich den fliegenden Holländer hörte, sagte ich: der bringt jeden Augenblick eine bekannte Melodie, u dann, als erschräke er vor seinem Diebstahl, endigt er mit einem Mißton. Das ist von wunderbarer Wirkung, wie die einzelnen Instrumente die Melodie aufnehmen, u es ist oft schwer zu folgen, besonders wenn man die Sachen zum ersten Mal hört u außerdem gar nichts davon versteht. – Verzeihen Sie dß ich Sie mit meinem Geschwätz quäle; ich habe es nur geschrieben, um zu wissen was Sie denken, u nicht mehr, wenn Sie einmal sehr viel Zeit haben, oder – wenn Sie uns endlich besuchen – dann sagen Sie mir Ihr Urtheil. Ich wage ja gar nicht zu urtheilen; ich strecke nur meine Fühlfäden aus, um nach dem Richtigen zu suchen. Es kommt mir fast lächerlich vor, mit Ihnen von Musik zu sprechen; aber Sie wissen nicht, wie ich Papa’s feines Urtheil täglich entbehre, u ich kann doch nichts dazu, dß es mir versagt ist, aus der Musik meinen Lebensberuf zu machen. Bitte haben Sie Geduld mit mir! Ich bin so dankbar, wenn ich Ihnen schreiben darf; wenn es Sie quält, so lesen Sie es nicht!
In dankbarer Liebe
Ihre Elisabeth Wied

  Absender: Elisabeth (Pseudonym: Carmen Sylva), Prinzessin zu Wied (418)
  Absendeort: Monrepos
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 12
Briefwechsel Clara Schumanns mit Landgräfin Anna von Hessen, Marie von Oriola und anderen Angehörigen deutscher Adelshäuser / Editionsleitung: Thomas Synofzik, Michael Heinemann / Herausgeber: Annegret Rosenmüller / Köln: Verlag Dohr / Erschienen: 2015
ISBN: 978-3-86846-023-0
344-347

  Standort/Quelle:*) D-B, s: Mus. Nachl. K. Schumann 2,175
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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