23.01.2024

Briefe



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ID: 17791
Geschrieben am: Freitag 22.09.1882
 

Panker 22 Septbr
Für Ihre so theilnahmsvoll mitfühlenden Worte empfangen Sie, liebste Frau Schumann, des Landgrafen u. meinen allerwärmsten, innigsten Dank! dem unsere Elisabeth sich anschließt. –
Leider haben Sie ja Ähnliches erduldet, u. kennen das marternde Herzweh, das mich zerwühlt; noch fasse ich das Gräßliche kaum, bin wie durch Keulenschlag betäubt! So hart betroffen u. niedergeworfen, erscheint Einem Gegenwärtiges u. Künftiges finster u. vergellt, u. fällt das Emporraffen schwer. –
Wie soll ich ohne mein Kleinod, meinen Liebling leben?!
Wer am Sterbebette seines eignen Kindes gerungen, die Wucht u. Gewalt solcher Stunde feierlichsten Ernstes – wo Zeit u. Ewigkeit sich berühren – erfahren hat, Wer das wachsende Vermissen u. Entbehren, die nagende Sehnsucht täglich durchkämpft, der erholt sich nicht wieder! u. mit deßen ohnehin getrübter Erdenfreude ists gründlich vorbei. – Immer stärker brennt das Seelenverlangen, der wahnsinnige Trennungsschmerz, die Pein, die keiner andern gleicht. –
Dennoch wünsche ich in dieses Jammerthal mein Kind niemals zurück; früh ward es erlöst u. frei, doch wohl, weil des Schöpfers Liebe es reif fand für ein besser und ewigdauerndes Leben höherer Art. Das Bewußtsein, dem schönen, guten, frommen Wesen hier das Leben gegeben zu haben, damit es nun wohl in Ewigkeit des Paradieses theilhaftig sei, hält mich aufrecht. Wie wenig verliert es am irdischen Dasein, wo Gefahr u. Leiden ihm nicht wären erspart worden! – Diese Thränen, die wie Tropfen des eigenen Herzbluths sind, wird es nicht weinen! – Zehn Jahre in Unschuld, Frohsinn u. Sonnenschein war Marka mein, dafür bin ich dankvoll; in meinen Armen verschied sie kampflos u. sanft; ich schloß ihre Augen zu. – Näher sind wir dem unbegreiflichen, unerforschlichen Jenseits u. dem Räthsel des Wohin u. Warum gerückt, seitdem die heißgeliebte Tochter uns dort erwartet! Sie ist uns zwischen Himmel u. Erde gleichsam ein Band geworden; sicher hoffe ich meine Engelskleine geborgen, u. auch einst Dort zu sein, wo sie ist?! –
Was voranging, war aber zu jäh, zu furchtbar! – u. auf die vermeintlich lindernde Kraft der Zeit baue ich eben garnicht, halte es vielmehr für eine Beleidigung, wenn man einem Herzen zumuthet, sich an einen bittern Verlust zu gewöhnen u. denselben, etwa nach Jahresfrist weniger herb zu fühlen. Zum Voraus schon fürchte ich mich vor dem spätern Wiederaustritt in die widerwärtige od. gleichgültige Welt! nur Stille u. Ruhe ist dem zerrißenen Innern noth. –
That Etwas uns aber gut, in diesem Gram, so war es die vielseitig treue Betheiligung, auch die Ihrige u. diejenige Ihrer lieben Töchter, an unserm Unglücke; und recht aufrichtig erkennt dies Ihre
tiefgebeugte Anna.

  Absender: Anna, Landgräfin von Hessen (39)
  Absendeort: Panker (Holstein)
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 12
Briefwechsel Clara Schumanns mit Landgräfin Anna von Hessen, Marie von Oriola und anderen Angehörigen deutscher Adelshäuser / Editionsleitung: Thomas Synofzik, Michael Heinemann / Herausgeber: Annegret Rosenmüller / Köln: Verlag Dohr / Erschienen: 2015
ISBN: 978-3-86846-023-0
131f.

  Standort/Quelle:*) D-B, s: Mus. Nachl. K. Schumann 4,194
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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