23.01.2024

Briefe



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ID: 17696
Geschrieben am: Dienstag 10.04.1860
 

Ich suche nach Worten, mit denen ich Ihnen zum Abschied sagen könnte, wie selig die Stunden waren, die Ihr Genius mir bereitet; – vergebens! – wie auch sagt’ ich Unaussprechliches? – Bewundernd ruf ich nur in dunkler Ahnung süßem Zauber die herrlichen Worte Jean Pauls:
„O Tonkunst! du schlägst die zerlaufenden Wellen des Meeres der Ewigkeit an das Herz der dunklen Menschen, die am Ufer stehn und sich hinüber sehnen! Bist du das Abendweh’n aus diesem Leben, oder die Morgenluft aus jenem?[“] –
Jos Lewinsky
10 April 1860

|3| An Sich
Sei dennoch unverzagt! Gieb dennoch unverloren!
Weich keinem Glücke nicht! Steh höher, als der Neid!
Vergnüge dich an dir und acht es für kein Leid,
Hat sich gleich wider dich Glück, Ort u Zeit verschworen.

Was dich betrübt und labt, halt Alles für verloren!
Nimm dein Verhängnuß [sic] an. Lass Alles unbereut!
Thu, was gethan sein muß, und eh man dies gebeut!
Was du noch hoffen kannst, das wird noch stets geboren.

Was klagt, was lobt man doch? sein Unglück u sein Glücke
Ist ihm ein jeder selbst! Schau alle Sachen an.
Dies Alles ist in dir, lass deinen eitlen Wahn,

Und eh du fürder gehst, so geh in dich zurücke.
Wer sein selbst Meister ist, und sich beherrschen kan,
dem ist die weite Welt und Alles unterthan
Flemming.

|4| Der Mensch hat Nichts so eigen,
So wohl steht ihm nichts an,
Als daß er Treu erzeigen
Und Freundschaft halten kan.
Wann er mit seines Gleichen
Soll treten in ein Band,
Verspricht sich, nicht zu weichen,
Mit Herzen, Mund und Hand.

Die Red ist uns gegeben,
damit wir nicht allein
Vor uns nur sollen leben,
Und fern von Leuten sein;
Wir sollen uns befragen
Und sehn auf guten Rath,
Das Leid einander klagen,
So uns betreten hat.

|5| Was kann die Freude machen,
die Einsamkeit verhehlt?
das giebt ein doppelt Lachen,
Was Freunden wird erzählt;
der kann sein Leid vergessen
der es von Herzen sagt;
der muß sich selbst auffressen,
der in geheim sich nagt.

Gott stehet mir vor Allen,
die meine Seele liebt,
denn sol mir auch gefallen,
der sich mir herzlich giebt.
Mit diesem Bundsgesellen
Verlach ich Pein und Noth,
Geh auf den Grund der Höllen
Und breche durch den Tod.

|6| Ich hab, ich habe Herzen
So treue, wie gebührt,
die Heuchelei und Scherzen
Nie wissentlich berührt
Ich bin auch Ihnen wieder
Von Grund der Seelen hold,
Ich lieb euch mehr, ihr Brüder
Als alles Erdengold.
Simon Dach.

|7| Besser Kunst als Gut
Wohl dem, der sich nur läßt begnügen
daran, was ihm auf Gottes Gunst
das Glück unfehlbar zu muß fügen,
Und nährt sich redlich seiner Kunst!
Ein Andrer halt auf Geld und Gut,
ich liebe Kunst und freien Muth.

Wie bald kan Reichthum dich verlassen,
So bist du elend gnug daran,
Kunst aber wird dich stets umbfassen,
Sie nähret treulich ihren Mann.
Ein Andrer halt auf Geld und Gut
Ich liebe Kunst und freien Muth.

Giebt sie mir nicht viel Goldes-Tonnen
So macht sie mich doch besser satt

|8| Als den sein Geld, der viel gewonnen,
Und Herr nicht ist, deß was er hat.
Ein Andrer halt auf Geld und Gut
Ich liebe Kunst und freien Muth.

Wie manchem hat der Krieg genommen,
Was ihm vorher das Glücke gab;
der jetzt für alles Geld bekommen
Nur einen kahlen Bettelstab.
Ein Andrer halt auf Geld und Gut
Ich liebe Kunst und freien Muth.

Wer was gelernt, scheut keine Waffen,
die Kunst ist ihm für alles Geld;
der muß in steten Ängsten schlafen,
der nur den Schatz im Kasten hält;
Ein Andrer halt auf Geld und Gut,
Ich liebe Kunst und freien Muth.

|9| Was ich besitz, ist nicht im Kasten;
Wil Jemand meinen Gütern an,
der muß mein Leben selbst antasten,
Ist dies nun hin, was brauchs’ ich dann?
Ein Andrer halt auf Geld und Gut,
Ich liebe Kunst und freien Muth.

Bring mich dahin aus diesem Lande,
Wo nie der Tag recht bricht herfür,
Durch Kunst kan ich in fremdem Sande
So seelig leben, gleich wie hier
Ein Andrer halt auf Gold und Gut,
Ich liebe Kunst und freien Muth.

Muß gleich die Kunst nach Brod jetzt gehen,
Wie man von ihr verächtlich schwäzt,
So wil ich dennoch bei ihr stehen
Weil sie mich inniglich ergetzt.

|10| Ein Andrer halt auf Geld und Gut,
Ich liebe Kunst und freien Muth.

Wenn mir der Höchste das nur giebet,
Was mir zu Leben notig ist
Und eine Seele, die mich liebet,
Und mich vor Allen auserkiest
So lieb ich über Geld und Gut,
Sie – und die Kunst – und freien Muth.
Simon Dach.

  Absender: Lewinsky, Josef (2591)
  Absendeort:
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 4
Briefwechsel Clara Schumanns mit Maria und Richard Fellinger, Anna Franz geb. Wittgenstein, Max Kalbeck und anderen Korrespondenten in Österreich / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Klaus Martin Kopitz, Anselm Eber und Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2020
ISBN: 978-3-86846-015-5
691-695

  Standort/Quelle:*) D-Dl, s: Mus.Schu.155
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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