Villa Thun, Gmunden, d. 11. Septbr
Liebe, verehrte Frau Schumann!
Ohne meinen Gruß zu den vielen andern, die Ihnen Ihr Geburtstag bringen wird, soll der 13te nicht vorübergehen. Er ist gewiß der innigsten einer! Ich hoffe von ganzem Herzen, daß der gute Anfang der Nachkur Sie einen recht unumwölkt schönen Tag mit den lieben Töchtern und Enkelchen wird feiern lassen. Auf dem Salzberg hatte ich meine herzliche Freude daran wie frisch und muthig Sie dem Winter entgegensahen, und Gott gebe, auch für| uns andere Menschenkinder, daß Sie alle guten Pläne ausführen. Mögen Sie zu Ihrer und unserer Erquickung sich noch lange des lautern, vollen Quells Ihrer herrlichen Kunst freuen! – Es ist Schade, daß Sie nicht noch die schöne Bergluft genießen; ich finde trotz des Regenwetters an den schönen Hügeln hier das größte Behagen, und denke die 8 Tage, welche ich bei der gütigen Königin von Hannover zubringe, werden mich von der Gasteiner Kur, die mich doch etwas angegriffen hat, sehr gut erholen lassen. Seit dem 7ten Septbr bin ich hier, wollte erst nur einen kurzen Besuch machen, bin aber so herzlich eingeladen worden recht lange zu bleiben, daß ich wenigstens bis zum 14ten meinen Aufenthalt verlängern werde. Dann gehe ich über München heim zu Paulchen, und hoffe am 17ten dort anzulangen. Ich kann kaum in aller Eile einen Begriff von der reizenden Gastfreundschaft geben welche die hohe Herrin hier gewährt. Völlige Ungenirtheit hat man, und dabei macht mir die herzliche, verständnißvolle Freude, welche besonders Prinzessin Mary an der besten Musik <hat> findet, das größte Vergnügen. Gestern spielte ich ihr die A moll Sonate von Schumann und die G dur Sonate von Brahms mit Labor vor, und sie fühlte alles Schöne gleich heraus. Sie spielt<e> selbst, aber leider ist die Geläufigkeit nicht dem musikalischen Sinn gleich, was sie aber ganz genau weiß, und höchst bescheiden ausspricht. – Sie und alle lieben Ihrigen vielmals grüßend verbleibe ich in herzlicher Verehrung
Ihr
Joseph Joachim.
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