23.01.2024

Briefe



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ID: 17482
Geschrieben am: Freitag 05.07.1872
 

Berlin, d. 5ten Juli 1872

Liebe, verehrte Frau Schumann!

Wenn ich Ihnen nicht unmittelbar nach Empfang Ihrer freundschaftlichen Zeilen warmen Freundesgruß zurücksandte, so geschah dies bloß, weil ich wirklich von Tag zu Tag meinte Ihnen etwas über meine Sommerpläne sagen zu können, die sich gerade in dieser Zeit wenigstens dahin änderten, daß ich auf dem Festland bleiben werde. Gefreut habe ich mich ganz kindisch, oder um mich nicht zu übertreiben wahrhaft kindlich darüber, daß Sie meines auf der Welt Seins gedachten. Es ist das beste Zeichen, daß Sie’s nicht bedauern mich nun schon volle 28 Jahre, so lange ist’s her!, zu kennen. Einundvierzig bin ich alt!! Wäre ich ein Schwabe, dann wäre das ein Vortheil – aber der bin ich ja nicht. Indeß will ich den klugen Streich machen statt an die See mit den Meinen in die Berge zu gehen, in die Sommerfrische, und ich <wußte> wollte nur, Sie wüßten uns eine, recht nahe an Ihrem Aufenthalt zu nennen. Aber da fürchte ich die Schweizer Preise für die Möglichkeit der Ausführbarkeit; denn Vater Mutter vier Kinder und zwei Mädchen wollen untergebracht sein. Mich aber nach 6 wöchentlicher Trennung wieder allein in’s Gebirge zu verfügen vermag ich nicht. So werden wir dann in’s Tyrol oder das Bayer’sche Hochgebirge ein<>kehren, wo ein zweimonatlicher Aufenthalt allenfalls zu erschwingen ist. Wir denken an den Achensee oder Obersdorf [sic]; beide liegen gegen 3000 Fuß hoch, aber für Sie sollen’s wohl 5 bis 6000 sein? Sonst wäre es gar zu reizend, wenn wir endlich einmal zu den gemeinschaftlichen Alpenausflügen kämen! Nun, wenigstens besuchen muß ich Sie auf einige Tage, sei’s in Lichtenthal oder auf der Höhe, und bitte inständigst um genaue Benachrichtigung über Ihre Pläne, sobald als möglich, damit ich mich darnach einrichte. Ich bleibe bis zum Abend des 13ten hier, und ignorire also daß meine Schule eigentlich am 15ten schließen müßte. Man kann doch nicht an einem Wochenanfang zumachen! Ich freue mich unbändig auf meine Ferien, die ich mir reichlich verdient habe, schon durch die Entsagung bei Gelegenheit des Triumphlied’s. Hätte nicht grade um die Zeit das Budget für 1873 eingeliefert werden müssen um noch vom Minister berücksichtigt zu werden, ich wäre nicht fortgeblieben. Nun lauere ich von Tag zu Tag, daß mir Simrock wenigstens die Partitur zur Labung schicke, aber leider bis jetzt vergebens. Wie viel Schönes mag Johannes sonst noch liegen haben – nun, ich muß wohl selbst nachsehen kommen, um davon zu erfahren. Dann sehe ich wohl auch den erwarteten lieben Besuch aus Turin, zu dem ich herzlich gratulire. Allen den lieben Ihrigen freundlichste Grüße, die allerwärmsten aber Ihnen selbst von
Ihrem altergebenen
Joseph Joachim

Dietrich kömmt eben zum Besuch; er bleibt einige Tage in Berlin.

  Absender: Joachim, Joseph (773)
  Absendeort:
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 2
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Joseph Joachim und seiner Familie / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Klaus Martin Kopitz / Dohr / Erschienen: 2019
ISBN: 978-3-86846-013-1
1069f.

  Standort/Quelle:*) D-DÜhh
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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