23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 17447
Geschrieben am: Mittwoch 12.09.1866
 

Liebe Frau Schumann

Wie gerne wären wir morgen bei Ihnen, wo Sie hoffentlich von denen, die Ihnen die liebsten, umgeben sein werden! Hatte ich ja auch ursprünglich gedacht, daß wir den Herbstanfang in Baden sein könnten; nun haben Krieg und Krankheit andres verfügt! Wir bleiben bis Ende Septemb. hier, da meine Frau die Soolbäder, von denen sie erst 16 genommen, fortsetzen soll; sie thun ihr sehr gut. Anfangs Oktober ist dann unser Umzug in Hannover, und dann fängt bald meine bewegte Winter-Saison an, denn ich soll schon am 21ten Oktober in Basel spielen. Das hat das Gute, daß ich hoffen kann Sie noch auf dem Weg einige Tage in Baden zu besuchen. da Sie dann gewiß noch dort wohnen. Sonst graut mir’s schon vor allen Reisen, die ich diesen Winter machen muß. Es kommen fast täglich Anfragen, und es ist so schwer sich zu bestimmen! Wie oft muß ich da an Sie denken, verehrte Freundin, die so tapfer und gewissenhaft in ähnlicher Lage sich durchgekämpft! Ich darf Ihnen überhaupt heute sagen, daß Sie in guten wie in ernsten Zeiten uns immer nahe sind, und ich wollte es wäre äußerlich öfter und ruhiger der Fall, als leider bis jetzt geschah, wo es meist nur im Concert-Trouble zutraf, daß wir längere Zeit neben einander existirten. Wie ist es denn mit England geworden; ich habe weder von Chappel noch von Ihnen wieder gehört. Überhaupt wünsche ich mir so sehr über Ihre Winterpläne etwas zu erfahren. Meine Wege werden mich im November nach Paris, wo mir Pasdeloup 6 Concerte angeboten hat (durch Szarvady), und im halben Januar auf 6–8 Wochen nach London führen. Daraus sehen Sie, daß ich meine Hanover’sche [sic] Anstellung als erloschen betrachte, obwohl weder von Hannover’scher noch von Preußischer Seite ein Wort darüber bis jetzt verlautete. Ich wünschte mir ja immer frei zu sein. Mein Plan ist einige Winter hindurch wirklich ernsthaft für die Meinigen durch Concertgeben zu arbeiten, um nachher einen Wirkungskreis wählen zu können, dem ich mich con amore bleibend widme, und darum ist’s für mich persönlich ein Glück, daß es mit Hannover so gekommen. Wie mögen Sie nur über alle die Veränderungen denken! Ich habe so lange wieder nichts von Ihnen gehört, und bitte recht herzlich um ein paar Worte. Johannes wird wohl bei Ihnen sein; dann grüßen Sie ihn freundschaftlichst. Seine beiden ungedruckten Lieder (in Es und Hmol) haben mich aus dem Mund meiner Frau oft in letzter Zeit erquickt. Sie gehören zu unsern liebsten Liedern, die Schubert’schen und Schuman’schen nicht ausgenommen. Sonst habe ich, ach wie wenig, musicirt mit andern! Nach Orchester-Klang habe ich eine wahre Sehnsucht. Aber es ist doch ein großes Glück, daß ich meine liebe Ursi wieder außer aller Gefahr sehe, und das verdanke ich der guten, schönen Lage Harzburgs. Ich darf also nicht klagen! Heute feierten wir den 2ten Geburtstag des ältesten Jungen; der Kerl ist so lieb, und würde Ihnen heute wohl auch gefallen in seiner abwechselnden Zuthulichkeit und Eigenwilligkeit!
An Ihre lieben Kinder <> die herzlichsten Grüße und Glückwünsche zum 13ten. Möge der Himmel Ihnen allen zu einer schönen Partie
Sonnenschein verleihen, und wäre dabei
Ihr herzlich ergebner
Joseph Joachim

Am 12ten Sept. 1866.

  Absender: Joachim, Joseph (773)
  Absendeort:
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 2
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Joseph Joachim und seiner Familie / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Klaus Martin Kopitz / Dohr / Erschienen: 2019
ISBN: 978-3-86846-013-1
908ff

  Standort/Quelle:*) D-DÜhh
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



Wir verwenden Cookies, um Ihnen den bestmöglichen Service zu gewährleisten (Mehr Informationen).
Wenn Sie auf unserer Seite weitersurfen, stimmen Sie bitte der Cookie-Nutzung zu. Ich stimme zu.