23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 17393
Geschrieben am: Sonntag 24.07.1864
 

Hannover Am 24ten Juli

Liebe Frau Schumann!

Wie spät kommt mein Dank, und doch, wie große Freude haben Sie mir während meines Londoner Sklaven-Lebens bereitet! Sogar meinen neuen Geburtstag zu erinnern! Ich bin nun schon über 14 Tage hier, und Sie können denken, wie wohlthätig der eigne Heerd nach dem Londoner unruhigen Treiben wirkt. Meine Frau ist Gottlob so wohl, als man es nur wünschen kann, und so leben wir denn auf der „Wasserburg“ das glücklichste, einsame Leben. Wir werden auch hier bleiben müssen; und dies thut mir nur insofern leid, als wir die Möglichkeit Sie, verehrteste Freundin, zu sehen dadurch verlieren. Wir haben ernstlich überlegt, ob es sich machen ließe, in kurzen Tagreisen bis nach Baden hin zu gelangen; ohne daß ich aber den Muth hätte den Gedanken zur That werden zu lassen. Ich hätte nie geglaubt, als ich mich so herzlich über den Ankauf Ihres kleinen Häuschens in Baden freute, daß so lange Zeit vergehen sollte, bevor ich Sie dort besuchte! Wie lange denken Sie Ihren Aufenthalt auszudehnen? Sind alle Ihre Lieben um Sie? Mein Bruder Heinrich schrieb mir, daß er Sie wohl gefunden, und Stockhausen bei Ihnen getroffen habe, auch daß Sie der Schwägerin zu ihrem Entzücken vormusicirt hätten. Hat Ihnen denn letztere auch einen so wohlthuenden Eindruck gemacht wie mir und meiner Ursi? Ich habe meinen Bruder absichtlich außer Grüßen nichts Näheres aufgetragen, denn da er nun einmal nicht das Glück hat sich Ihrer Sympathie zu erfreuen, wollte ich, meiner Art gemäß, trotz meiner eignen Liebe zum treuesten der Brüder nichts thun was Ihnen mehr von seiner Gesellschaft aufgenöthigt hätte als Sie wünschten. Um so lieber ist es mir, daß Sie Ellen doch gesehen haben, welche das lange in der Erinnerung hochhalten wird. Um so mehr schäme ich mich, daß ich für Ihre Schwester Clementine gar nichts thun konnte, was Concertbillets anlangt. Dadurch daß ich bei meinem Bruder wohnte, und einen Neffen und Cousins in London hatte, waren die Billets die man mir schickte im Nu weg, und verlangen wollte ich, da ich engagirt war, nie welche. Ihnen den Londoner Concert-Trouble, den Sie ja „schaudernd selbst erlebt haben“ schildern <will> mag ich nicht. Ich habe diesmal fast nichts gehört, von dem ich Ihnen erzählen möchte! Die Oratorien-Aufführungen sind im Winter und Vorfrühling, und so hatte ich nichts davon, vom besten Englischen! Bennetts Sinfonie, 3 durch willkührliche Zwischensätzchen verbundene, zu verschieden Zeiten entstandene Stücke, würde Sie nur stellenweise interessirt haben. Nur im Menuett ist Bennett’sche Grazie, wie man sie aus den Wasserstücken kennt. Sonst ist natürlich viel Mendelsohn; im letzten Satz aber namentlich meisterlicher Fluß. Mein eigenes Concert wurde an dem selben Abend gespielt; sehr roh begleitet, was gerade diesem Stück besonders ungünstig ist, dessen 1ter Satz nur durch Zartheit wirken könnte, während der letzte Satz ziemlich viel rhytmische Entschiedenheit verlangt, die auch dem Philharmonischen Orchester bei unbekannten Sachen abgeht. Daß mein Stück freundlich aufgenommen worden ist, schiebe ich mehr auf Rechnung meiner alten Freundschaft mit dem Publikum, als auf dessen Freude an dem Werk. Ich würde Ihnen die Partitur meines Concertes gleich mitschicken, wenn ich nicht von Tag zu Tag Johannes erwartete, der mir seinen Besuch von Hamburg aus in Aussicht stellte. Jedenfalls sende ich es bald nach Baden, damit Sie freundschaftliche Nachsicht daran üben. Wissen Sie Grimms Adresse in Badenweiler? In Baden wird er ja wohl nicht mehr sein; es ist entsetzlich wielange ich wir [sic] nichts von einander gehört, und das kann und darf nicht so fortgehen. Wahrscheinlich werden Sie einen jungen Italiener Pinelli in Baden kennen gelernt haben; ich bin sehr neugierig auf ihn, da er mir von vielen Seiten warm empfohlen ist. Er muß einen Brief, in dem ich ihn einlud nicht erhalten haben, und bitte ich Sie ihm das zu sagen, wenn Sie ihn sehen. Wie hat er Ihnen musikalisch behagt? Meine Frau, die mir die herzlichsten Grüße aufträgt, läßt auch bittend an das von Fräulein Marie versprochene Bild Juliens erinnern. Ich hoffe Sie lassen bald wieder einmal Gnade für Recht ergehen und schreiben. Die lieben Ihrigen grüße ich alle vielmals, und bin
Ihr aufrichtigst ergebener
Joseph Joachim

  Absender: Joachim, Joseph (773)
  Absendeort:
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 2
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Joseph Joachim und seiner Familie / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Klaus Martin Kopitz / Dohr / Erschienen: 2019
ISBN: 978-3-86846-013-1
768-771

  Standort/Quelle:*) D-DÜhh
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



Wir verwenden Cookies, um Ihnen den bestmöglichen Service zu gewährleisten (Mehr Informationen).
Wenn Sie auf unserer Seite weitersurfen, stimmen Sie bitte der Cookie-Nutzung zu. Ich stimme zu.