Liebe Frau Schumann
Eben gelange ich in Besitz meiner Londoner-Adresse die ich denn auch gleich mittheile: 23, Queen Street, May Fair. Es ist bei einem Bäcker; ich laufe also wenigstens nicht Gefahr zu verhungern! Piccadilly ist in der Nähe, damit Sie die Lage ungefähr wissen. – Morgen spiele ich für Sobolewsky in Bremen; Dienstag am 20ten reise ich von hier ab, am 21ten ist Reineckes Concert in Barmen, und so werde ich wohl Freitag Abend, den 23ten bei Mr Follet, Baker, 23 Queen St., May fair einziehen. Vielleicht finde ich gar bei besagtem Mann ein paar Zeilen aus der Dessauer-Str. vor; das wäre ein freundlich Omen! War es nicht schön, daß wir wahrscheinlich zu gleicher Zeit am Tag nach meiner Abreise einander schrieben? Die schöne Kette trage ich nun als doppelte Erinnerung an Sie und Johannes. Auch der wiedergeschenkten Fantasie freue ich mich, und denke sie fleißig zu benützen. Von Joh. habe ich leider noch nicht wiedergehört. Unsere Dubliner Bekannten wollen mich vom 14ten Mai an auf eine Woche engagiren. Außer den 4 Ella’schen Concerten hat mich auch Pauer auf zwei Abende gemiethet. Nun, wir wollen sehen wie’s mir gefällt, wie ich gefalle, und ob ich auf’s nächste Jahr vorbaue. Am 27ten spiele ich zum erstenmal; ich denke zu schreiben wie es ausgefallen ist. – Gestern war der liebenswürdigen Herrscherin Geburtstag; ich hatte die Freude sie aus dem Schlaf mit einem Kinderstückchen zu musiciren, und sie ist wirklich gar so gut daß ich es sehr gern that! Gräfin Bernstorff wird Ihnen ja wohl geschrieben haben, daß die Königin ihren Namen gern in Ihre Liederhefte eintragen will. Es ist mir lieb, daß Sie es wünschten. Dies sind wohl die letzten Zeilen vor England – wünschen Sie mir eine sanfte Fahrt! Adieu, verehrte Freundin
von Ihrem Joseph Joachim
|