Mittwoch.
Liebe, verehrte Freundin.
Ich schreibe wegen des 2ten Concert-Programmes; auch mir ist es noch nicht ganz recht. Vor allen Dingen bin ich gegen die Composition von mir; ich möchte gerade als Concertgeber nicht meine Zuhörer mit meiner Muse bewirthen, denn der Erfolg lehrte mich bis jetzt zu deutlich, daß sie langweilt. Außerdem sind gerade die 3 Stücke unter so besonderer Stimmung entstanden, daß ich sie ungern andern als recht theuern Freunden vorspiele, und bisweilen bedauere ich sogar die Veröffentlichung derselben. Ich schlage daher lieber statt dieser Nummer eine Romanze von Beethoven Op. 50 (in der ersten Soirée spiele ich die Op. 40) vor, oder falls wir kein Orchester-Concert geben, die Violin-Phantasie von Schumann. Freilich lieber würde ich sie mit Orchesterbegleitung spielen. Mendelssohn kann ja durch den Sänger vertreten werden; denn Adagio und Rondo aus dem Violin-Concert mit Ihnen zu spielen ist wohl unthunlich, und Chopin würden Sie gewiß auch recht gern gegen ein Lied ohne Worte vertauschen. Hier ist ein Sänger jetzt anwesend Namens Giulelmi, der das Wanderlied von Mendelssohn gerne singt, und da er auch nach Berlin reist, würde er gewiß keine abschlägige Antwort geben, wenn ich ihn aufforderte. Soll ich es thun, da seine Stimme und sein Vortrag gut sind? Er wirkt im 1sten Hannover’schen Concerte mit. Denken Sie, man hat mich nicht einmal wegen des Programmes um Rath
gefragt! Unser 2tes Programm in Berlin würde also folgende Fassung haben können:
oder
1.)
a. Sonate v. Beethoven G dur,
Op 30.
b. Gesang von Mendelssohn.
c. Fantasie für Violine von Schumann
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d. Fantasie-Stück von Bargiel,
Notturno v. Chopin Scherzo
v. Weber.
e. Lied von Schubert.
f. Sonate von Schumann, Dmol
2.)
a. Sonate in Dmol von Schumann.
b. Gesang von Mendelssohn.
c. Romanze von Beethoven
d. 3 Klavierstücke von Bargiel Chopin
u. Weber.
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e. Stücke im Volks<>ton, Märchenbilder von Schuman
f. Gesang
g. Adagio u. Preludium von Bach für Violine.
3tens)
1. Trio in Cmol Mendelssohn mit Ganz.
2. Sonate in Dmol von Schuman.
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3. Quartett in Cismol. Mit Ganz, Grünwaldt, Wendt.
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4tens)
1. Sonate für Klavier allein von Beethoven
2. Gesang von Mendelssohn
3. Adagio u. Preludium von Bach, Variat. v. Paganini
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4. Sonate für Violine und Klavier. Schumann.
5. Gesang?
6. Fantasie-Stück von Woldemar, Canon von Schuman, Scherzo v. Weber.
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5tens
1. Rondeau für Violine und Klavier von Franz Schubert.
2. Gesang.
3. Fantasie Stück von Woldemar und Variationen von Brahms.
4. Fuge von Bach für Violine allein.
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5. Sonate von Beethoven für Klavier allein
6. Gesang.
7. Sonate in Dmol von Schumann.
So ließen sich bis in alle Ewigkeit Programme entwerfen; vielleicht thun wir doch am besten die 2te Soirée bloß so vorerst anzukündigen, und das genauere Programm nach dem ersten Abend zu bestimmen; dann kennen wir auch unser Publikum, und wissen wie weit wir unsere speciellen Lieblinge dem rauhen Lob oder süßen Tadel desselben preisgeben dürfen. Beschließen Sie indeß ganz was Sie wollen; ich verpflichte mich alles mit größter Freude, und in der Reihenfolge zu spielen, wie Sie es angeben. Ihr feiner Geschmack und Ihre größere Erfahrung im Concertgeben werden zusammen das Richtige und gewiß auch mir Willkommene treffen. Und damit Sie ja nicht daran zweifeln, bekräftige ich es mit meinem Siegel:
J. J. J. J.
Es wird mir wohl thun wieder unter Menschen zu kommen; ich war hier lange allein. Vielleicht entschließt sich auch Herr Grimm noch mitzureisen: was sagen denn die lieben Hühner dazu und andre lustige Dinge können dann im Chorus gesungen werden, Fräulein Schönerstedt zur besondern Freude. Könnte doch nur Brahms mit uns sein! Dabei fällt mir ein, daß es vielleicht doch besser wäre, wenn Sie in der 1ten Soirée <Scherzo> Andante u. Scherzo aus seiner Cdur Sonate30 spielten (nicht weil sie mir besser als die aus der F mol-Sonate gefallen, sondern weil man Wild-Dieben und Reminiscenzen-Jägern nicht absichtlich was zu thun geben sollte). Ich freue mich auf ein fröhliches Wiedersehen und herrliches Musiciren! Grüßen Sie Woldemar herzlich, und seien Sie selbst 1000mal
gegrüßt
von Ihrem Verbündeten
Joseph Joachim
„Wie immer eilig und mit sehr schneller Schrift.“
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