Frankfurt. a/m. 20. 1. 92
Liebe Freunde,
Wie lange blieb ich in Ihrer Schuld auf Ihre beiden lieben Briefe. Wenn gute Wünsche hülfen, die Ihren müßten es gewiß. Sie haben Recht mit Leopold von Ranke, indem Sie mir Mut!, Mut! zurufen. Wie schwer ist es aber, wenn das neue Jahr so grausam für einen beginnt, wie dieses Jahr für mich. Sie wissen, daß zu dem schweren Gehörsleiden noch ein schwerer Fall kam, |2| der außer vielen Muskelverzerrungen und einem verstauchten rechten Arm, wohl durch die große Erschütterung, meine reumatische [sic] Gichtanlage zu schlimmen Ausbruch brachte, so daß ich recht leidend bin und fast immer liege. Natürlich hatten wir es Eugenien verheimlicht, wollten ihr den Aufenthalt bei der lieben Lucky doch nicht trüben<,>. Sie und Marie haben ja bis jetzt schon genug Sorgen um mich gelitten.
Nun nehmen Sie aber vor allem auch unsere treuesten Wünsche zum neuen Jahr! Ach, wie schwer hat |3| es für uns Alle begonnen mit dem schrecklichen Verluste unserer theuren Herzogenberg. Bei aller seelischen Kraft, die der liebe Mann in den schwersten Zeiten gezeigt hat, bin ich doch jetzt sehr in Sorge um ihn, wie er es tragen werde! Welch trostlose Einsamkeit! <>Und wie tragisch, daß auch die Mutter sterben mußte, die doch gewiß, nach seiner Frau, seinem Herzen am nächsten stand. Ich war so beruhigt, zu hören, daß Hildebrand gleich hingereist war und ihn jetzt mit nach Florenz genommen hat.
|4| Ihre musikalischen Berichte, lieber Volkland, habe ich mit vieler Teilnahme gelesen, aber jede musikalische Freude, von der ich lese, erregt den tiefsten Schmerz des Entbehrens bei mir.
Von Eugenie hörte ich leider, daß Sie sich schwer in Ihrer neuen Wohnung einleben. Es ist dies doppelt schwer, wenn man mit einem Male mit viel weniger Raum auskommen soll, als man seit Jahren gewohnt war. Vielleicht aber finden sich doch auch Vorteile mit der Zeit und söhnen Sie aus.
|5| Zu erzählen weiß ich Ihnen ja leider garnichts, habe nicht einmal die schönen neuen Sachen von Brahms hören können. Ich war vom Herzog von Meiningen und seiner höchst liebenswürdigen Gattin für die Brahms-Woche dorthin eingeladen – da hätte ich alles in höchster Vollendung gehört. Ich will aber schließen und würde mich herzlich freuen, bald ’mal wieder von Ihnen zu hören. Diese Tage begleiten Sie meine Gedanken nach Stuttgart! Ob wohl die liebe Frau mitgeht? – Die Kinder senden |6| Ihnen beiden Herzlichstes zum neuen Jahr, und ich drücke Ihnen im Geiste die Hände als Ihre
getreueste
Clara Schumann.
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