23.01.2024

Briefe



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ID: 14213
Geschrieben am: Mittwoch 12.10.1892
 

Frankfurt a/M d. 12 Octbr. 92.
Liebe Frau Fiedler
nehmen Sie den herzlichsten Dank für Ihren lieben Geburtstag-Gruß, der mich in Interlaken im Vollgenusse der herrlichen Natur traf. Erst kürzlich sind wir hierher zurückgekehrt. Daß Sie uns in Locarno beinah besucht hätten, war mir sehr leid – wie hätte uns das gefreut! mit Herzogenberg haben wir uns damals leider verfehlt, aber ich sah ihn dann bald in Basel. Wie er sein großes Leid trägt, das ist bewunderungswürdig. |2| Ich war damals in Locarno nur 14 Tage; da Eugenie zu sehr der Ruhe bedurfte ging ich fort, denn sie beunruhigte sich so viel um mich, so daß ich mir die Trennung von ihr auferlegen mußte. Gott sey Dank ist sie so viel wohler wieder, daß sie vor einigen Tagen nach England gehen konnte, um sich dort für den Winter niederzulassen und einigen Unterricht bei sich im Hause zu geben, wozu sie von einigen alten Schülerinnen dringend aufgefordert wurde. Sie hat einen Cursus für Clavier-Spiel eröffnet, und bereits viele Schülerinnen. Ebenso hat es Marie hier begonnen, sie hat Classen im Hause, und schon mehr Schülerinnen, als |3| ich eigentlich wünschte, denn sie hat außerdem so viele Pflichten; aber sie ist so kräftig, daß ich hoffe, es schadet ihr nicht. Die Familie meines Sohnes, die ich ganz zu erhalten und erziehen habe, hat meine Töchter veranlaßt, ihr Talent mehr noch als bisher zu verwerthen. Eugenie hat Ihren Brief, von dem Sie mir sprachen, nicht erhalten. Ich will ihre Adresse beifügen, vielleicht fühlen Sie sich ’mal aufgelegt, sie für den verlorenen Brief zu entschädigen. Sie wohnt mit Frl. Fillunger zusammen: London W. 16, Palace Gardens Mansions Notting Hill Gate.
Mir geht es so leidlich, ich bin durch den Aufenthalt in Interlaken sehr gekräftigt, aber die alten Leiden haben mich nicht |4| verlassen, und werden es auch wohl nie mehr – wenn mich nur das Dröhnen im Kopf verließe. Orchester-Musik kann ich nicht ertragen, da höre ich Alles wie ein Chaos durcheinander, aber, Gott sei Dank, höre ich das Clavier im Zimmer richtig, und habe daher meinen Unterricht wieder begonnen, allerdings mit Maaß.
Nun muß ich aber schließen – mein Arm mahnt dazu. –
Ihre liebe Einladung nehme ich gern an; ich habe so eine Idee für Ostern, möchte über München nach Wien für 4 Wochen, würde dann in München gern einige Tage verweilen, und der Gedanke bei Ihnen zu sein ist mir sehr verlockend. Ich weiß aber Ihre Adresse |5| nicht? Sie wohnen doch nicht mehr Arcisstr.? Darum muß ich auch diese Zeilen nach Leipzig abschicken, auch sind Sie doch vielleicht noch in Crostewitz? –
Ihrem lieben Mann sagen Sie unsere herzlichen Grüße, ebenso grüßt Marie Sie, und ich bin in alter treuer Gesinnung
Ihre
Clara Schumann.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Frankfurt am Main
  Empfänger: Fiedler, Mary (450)
  Empfangsort: Crostewitz
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 8
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit der Familie List und anderen Münchner Korrespondenten / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Ekaterina Smyka / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-019-3
957ff.

  Standort/Quelle:*) D-F, s: Autographensammlung der Musik- und Theaterabteilung, Nr. A28
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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