Berlin d. 27 April 58.
Meine liebe, verehrte Freundin,
wie gern hätte ich Ihren lieben Brief gleich beantwortet, doch traf er mich im ärgsten Concerttroubel in der Schweiz, dazu litt ich den ganzen Winter so an Rheumatismus, daß ich Monate lang nicht schreiben durfte, und nur Briefe dictieren konnte. Ihnen aber meinen Dank, meine innigsten Glückwünsche dictirt zu senden, konnte ich mich gar nicht entschließen. Wie Vieles haben Sie durchgemacht, Freude und Leid! wie hart muß es sein <ein[?]> das einzige Kind herzugeben, welcher Kampf, und dabei doch wieder die Freude es beglückt zu sehen. So geht es aber, wir müssen uns von unseren Kindern auf eine oder die |2| andere Weise trennen, und sind wir dann alt, so stehen wir allein! – Gott erhalte Ihnen Ihren lieben Mann – in dem Manne ruht doch das eigentliche Lebensglück! täglich, stündlich fühle ich es wie Nichts den Mann ersetzt, Den man geliebt, für Den man gelebt.
Herzlich danke ich Ihnen für die übersandten Briefe, die ich sehr wahrscheinlich nächsten Winter zu benutzen denke. Zuvor werde ich aber wohl nach Wien kommen, und zwar im November. Vielleicht könnten Sie mir dazu behülflich sein, daß ich eine Wohnung in einem Privatlogie fände, wo ich aber z. B. Mittagbrod mit der Familie nähme, sonst aber ganz ungenirt für mich lebe. Ich möchte nicht gern noch Jemand mitnehmen müssen, da dies die Kosten so bedeutend vermehrt. Kann ich nun in einer Familie |3| sein, und doch ungenirt, so ginge das ganz gut, daß ich allein käme. Wenn Sie liebe Freundin so bei Gelegenheit Etwas hören, bitte, so theilen Sie es mir mit. (Aber ja nicht bei Schmuttermeyer’s – so gut die Leute sind, so möchte ich doch dort nicht wohnen.)
Aber sagen Sie mir doch, was ist mit der guten Eichthal passiert? ich weiß ja von nichts! wo ist sie operirt worden? was haben Sina’s dabei gethan? wo ist sie jetzt? sollten Sie sie sehen, bitte, so grüßen Sie sie auf das freundlichste.
Sollten Sie mir Etwas mittheilen können, oder sollten Sie Muse [sic] finden mir einmal wieder Nachricht von Sich zu geben, das mich innig erfreuen würde, so ist meine sichere Adresse: Berlin, abzugeben bei Mad. Bargiel, Leipziger Platz Nro 3, 3ter Stock. |4| Ich bin im October schon hierher übergesiedelt und habe fünf meiner Kinder hier. Es könnte sein, daß ich doch meine älteste Tochter mit nach Wien nähme, wenn ich jetzt noch nicht.
Schließlich, meine liebe, verehrte Rettich, nehmen Sie den wärmsten Händedruck, grüßen Sie Mann und Kind13 herzlichst, und glauben Sie mich immer und in alle Zeiten
Ihre
treu ergebene
Clara Schumann