23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 14158
Geschrieben am: Samstag 24.11.1866
 

Oldenburg, den 24. November 1866. Sonntag.
Endlich, lieber Johannes, komme ich dazu, Dir einen Brief zu senden. Wohin? Das weiß ich freilich nicht, denn fast vermute ich Dich noch in der Schweiz, nachdem Du, wie mir Julie sagte, wieder dorthin zurückgekehrt bist.
Eure Konzerte mögen ja reizend lustig gewesen sein, hätte ich nur mehr davon erfahren, ich wäre Euch so gern im Geiste von Ort zu Ort gefolgt. Für Deinen Brief, lieber Johannes, meinen Dank; zwar kam er spät, aber Dein Bummel-Talent kenne ich ja und weiß nur zu gut, wie es auf Reisen geht. Man nimmt sich von Tag zu Tag einen Brief vor, und kommt doch nicht dazu. So ging es mir mit diesem – wäre es meinem Wunsche nach gegangen, hättest Du längst meinen Gruß gehabt. Ein Übelstand bei mir ist nun aber auch der, daß ich an Tagen, wo ich viel zu spielen habe, nicht schreiben darf, denn gleich fühle ich die Steifigkeit in den Fingern; ich diktiere daher fast alles, nur nicht gern an die, die meinem Herzen nahestehen.
Wie sehr hat es mich gefreut, daß Eure Konzerte auch pekuniär so gut ausgefallen! Jetzt brauchst Du Dich doch gar nicht für das nächste Jahr um Geld zu kümmern und kannst, ohne Dein Kapital anzugreifen, auch Deinem Vater eine Extra-Freude machen. Das ist doch nett! –
Nach Hamburg komme ich diesen Winter nun nicht, was mir um Friedchens halber sehr leid tut. Stockhausen hat mir neulich zwar telegraphiert, zu kommen, doch erstens konnte ich es schwer einrichten, und dann war die Gelegenheit eine ganz sonderbare. Er wollte, ich sollte die Phantasie mit Chor von Beethoven vor der Peri spielen, welch eine Idee! Das heißt doch, dem Zuhörer die Stimmung, die er zur Peri braucht, geradezu unmöglich machen. Nachher bekam ich wieder einen Brief, der höchst konfus war, nach dem es mir aber doppelt lieb war, daß ich nicht gegangen; und ist es mir dreifach lieb, denn die Aufführung ist ganz mangelhaft gewesen. Böie hat höchst langweilig dirigiert, wie ja vorauszusehen, und nur die wenigen Solis von Stockhausen und Frau Joachim waren schön. Stockhausen hat schon 10 Konzerte in Hamburg gegeben. Ich fürchte, er übertreibt es und nutzt sich doch ab.
Von meinen Konzert-Erlebnissen wüßte ich nur zweier besonderer Freuden zu erwähnen: die erste war die Aufführung Deines A dur-Quartetts in Frankfurt, das ich in zwei tüchtigen Proben bis aufs Feinste einstudiert hatte, und eine für Frankfurt unerhört (wo sie sich auf ihre Zöpfe noch gehörig was zugute tun) enthusiastische Aufnahme fand. Meine Freude, daß es so schön ging, war groß, und ich fühlte mich in der begeistertsten Stimmung und genoß in vollen Zügen das herrliche Werk! Wüßte ich nicht, wie ungern der Komponist seine Sachen von andern hört, ich hätte ihn wohl herbeigewünscht. – Die andere Freude kam dieser freilich nicht gleich, sie war eben ganz anderer Art, es war die Aufnahme durch das Bremer Orchester, die so enthusiastisch war, daß ich ganz gerührt war. Es kann mich so innig freuen, wenn Musiker, die die Musik so ganz und gar zu ihrem Handwerk machen müssen, warm werden! Das ist doch eine Befriedigung, die einem kein Publikum geben kann.
Hier bin ich seit drei Tagen und von Dietrichs höchst freundlich aufgenommen. Die Frau ist reizend in ihrer wahrhaft kindlichen Hingebung für ihren Mann, er aber scheint mir nicht zu wissen, welchen Schatz er besitzt. – Musikalisch hat mir Dietrich einen schönen Genuß durch Roberts 3. Symphonie bereitet, die ich lange nicht gehört hatte, und die mich wieder ganz besonders entzückt hat. Das Blech schreit nur so mörderisch in dem Saale, daß einem manchmal fast die Sinne vergehen. Gestern spielte ich bei Hofe, u. a. auch mit Dietrich, Deine Walzer, wovon die Zuhörer sehr erbaut schienen. Heute nachmittag werden einige Leute bei Dietrich sein und ich Dein Quartett in A spielen, worauf ich mich wieder sehr freue.
Übermorgen verlasse ich Oldenburg, höre abends in Bremen in der Kirche Jephta, und reise dann Mittwoch nach Berlin, wo ich allerlei wegen der Jungen zu ordnen habe. Ich bleibe dort bis zum 11. Dezember, gehe dann nach Leipzig bis zum 14. und dann an den Rhein, wo ich bis zum 8. Januar bleibe; ich werde von Düsseldorf aus nur einige kleine Abstecher nach Köln, Bonn, Koblenz machen, jedoch bleibt meine Adresse für die ganze Zeit bei Frl. Leser, in Berlin: Leipziger Platz Nr. 3, im Hofe, 3 Treppen hoch, bei Mad. Bargiel. Jetzt weißt Du alle Adressen – möchtest Du sie Dir wirklich im Kalender notieren.
Ist es denn wahr, daß Kirchner ganz nach Frankfurt übersiedeln will? Dort erzählt man es sich – ich glaube es noch nicht. Es gibt in Frankfurt keine Leute, wie Levi, Wesendoncks, Riggenbachs u. a., die aus Schwärmerei die Schulden bezahlen würden.
Die totschießerlichen Ideen sind übrigens nicht gefährlich, wer so viel davon spricht, meint es wohl nicht so ernst. Daß man aber mit ernster Betrübnis nur an diesen Menschen denken kann, da hast Du recht, in ihm ist eine bedeutende Natur zugrunde gegangen durch äußere und innere Verhältnisse.
Nun, lieber Johannes, ich denke, ich habe recht gemütlich mit Dir geplaudert und hoffe, Du tust es bald auch mit Deiner
Clara.
Dietrichs Grüße kann ich wohl getrost beifügen – wir sprechen oft von Dir.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Oldenburg
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
  Empfangsort: Zürich?
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1039-1043

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



Wir verwenden Cookies, um Ihnen den bestmöglichen Service zu gewährleisten (Mehr Informationen).
Wenn Sie auf unserer Seite weitersurfen, stimmen Sie bitte der Cookie-Nutzung zu. Ich stimme zu.