23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 14157
Geschrieben am: Sonntag 08.07.1866
 

Lieber Johannes,
die Korrektur kommt nicht, auch nicht der versprochene Brief, und der Freund selbst erst recht nicht, da muß ich dann doch fragen, wies’s geht? Es verlangt mich, von Dir zu hören, was Du siehst, arbeitest, wie Du überhaupt lebst? Hast Du Levi schon auf dem Rigi besucht? Der Arme schien sich recht schlecht zu befinden.
Daß Du Wesendoncks Anerbieten nicht angenommen, fand ich sehr gescheit, das hätte Dir diesen Leuten gegenüber Verpflichtungen auferlegt, die Dir oft genug lästig gefallen wären. Ich möchte schon, ich könnte Dich ’mal in Deiner schönen Wohnung überraschen, das muß ja herrlich sein! –
Frau Becker begegnete mir neulich und meinte traurig, Du seiest ihr wohl untreu geworden, wogegen ich ihr aber mit gutem Gewissen das Gegenteil versichern konnte, daß Du nach ihr gefragt, und, kämest Du, gewiß bei ihr zuerst anfrügst. Jetzt erst seit wenig Tagen fängt es sich an hier zu füllen; viele flüchten sich hier in das wirklich friedliche Tal, wo man nicht die Spur von Kriegslärm merkt. Bisher war es auch bei uns sehr still, seit drei Tagen aber ist die Mama mit den zwei Schwestern hier und Ferdinand. Felix ließ Herr Dr. Planer leider nicht mit, weil es zu unsicher sei mit seinem Zurückkommen, und er doch die Schule, wenn sie wieder anfängt, nicht versäumen darf. Du kannst Dir denken, wie leid uns der kleine Kerl tut. Ferdinand ist nun vom Gymnasium abgegangen, bleibt bis Oktober hier und kommt dann wahrscheinlich in ein Hamburger Geschäft. Die Mama habe ich im Bären eingemietet, wo sie es höchst gemütlich hat. Des Abends kommt sie regelmäßig zu mir, den Tag über aber habe ich mich freigestellt, so daß ich ungeniert mit meinen Beschäftigungen oder Sonstigem lebe. Da ich mit meinem Brunnen noch nicht fertig, so spiele ich gar nicht, ausgenommen, um die Kinder zu üben mit diesen à 4/m., dann unterrichte ich sie regelmäßig, bin überhaupt sonst sehr fleißig, namentlich hatte ich in letzter Zeit viel zu schreiben, vieles durch die traurigen Zustände hervorgerufen, dann treibe ich täglich Französisch, um darin auch ’mal etwas vorwärts zu kommen etc. Stockhausen ist seit 8 Tagen hier und hat Molkenkur gebraucht, morgen geht er aber fort in die Schweiz nach Zug mit seinen Eltern und Brüdern. Die Frau ist in Kiel. Er hat allerlei Aufführungen für nächsten Winter vor, so z. B. will er auch ’mal einen oder zwei Akte aus der Genoveva geben, die wir ’mal ganz durchgegangen haben. Ich dachte immer, welche Wonne es sein müßte, diese Oper von lauter Sängern wie er ’mal aufgeführt zu hören!
Übrigens aber kann ich für meinen Teil gar nicht recht an Musik für nächsten Winter denken bei dem allgemeinen großen Elend, das man doch keinen Augenblick vergißt. Ihr in der Schweiz mögt davon wohl weniger noch spüren, als wir hier, wo man doch so manches Traurige erzählen hört. Die armen Wiener Freunde beschäftigen mich viel – es muß dort ja schrecklich jetzt aussehen! Flatz schreibt mir, der Staatsbankrott drohte nächstens auszubrechen – welch ein Unglück ist das!
. . . . . Daß Du mir in Deinem Briefe sagtest, ich habe Scheu vor Partituren, tat mir leid, das ist’s wahrlich nicht! Fände ich nur einmal eine Zeitlang Muße, mich im Lesen derselben zu üben, und jemanden, der mir hülfe, es zu lernen, an meinem Willen sollte es wahrlich nicht fehlen, aber ich fühle eben zu sehr das Unvermögen, irgend komplizierte Partituren zu lesen; ich hoffe, doch ’mal dazu zu kommen, auch darin mich zu üben, und dann schickst Du mir auch hoffentlich gern Deine Partituren. Ich bekomme aber auch gar nichts von den gedruckten Sachen, Walzer, Cello-Sonate, Horntrio etc.? Wüllner bat mich neulich, ob Du keine a cappella-Werke habest? Sie singen in der Kirche alle Sonntag Messen nur a cappella, und ich hatte ihm von Deiner erzählt. Du schriebst mir neulich gar nichts von Kirchner. – Du verkehrst doch gewiß viel mit ihm?
Stockhausen erzählte mir, was mich sehr freute, daß Dein Vater sich jetzt so glücklich fühle. Wie steht es mit ihm und Elisen? Welche Nachrichten hast Du von Deinem Bruder?
Aus Paris kamen vor einigen Wochen zwei französische Bücher (Stücke) an Dich, von Szarvady schien mir die Adresse. Ich behielt sie hier, und wir lesen jetzt das eine, „Camoisin“. Soll ich sie Dir schicken? Ich dachte mir, er habe sie Dir vielleicht gesandt zu Operntexten zu verarbeiten?
Von Rubinsteins Duo wußte ich gar nichts; ich habe mir neulich einen großen Stoß Musik von Henkel schicken lassen, da war aber nichts dabei bis auf ein Stück, Sonate von Edvard Grieg, alles Schund, so daß ich ganz verstimmt wurde, weil es doch auch gar zu traurig aussieht.
Vor 14 Tagen erhielt ich auch einen schönen Flügel von Klems, und seitdem wartet das Pianino Deiner, nun aber mußte ich es, da es unbenutzt dastand, doch meiner Schwester Clementine geben, der ich sonst eines hätte mieten müssen, . . . . . . .
Nun, liebster Johannes, weißt Du alles von uns, und ich hoffe, Du sagst mir bald ein liebes Wort! – Was ich am liebsten von Dir hörte, weißt Du, Du weißt aber auch, wie wenig egoistisch ich in dem Punkte gegen meine Freunde bin. Dich aus der herrlichen Schweiz herauszulocken, würde ich nicht über mich gewinnen, denn ich freue mich von ganzem Herzen, daß Du sie endlich einmal vollkommen genießest, wüßte ich nur mehr davon und könnte Dich öfter im Geiste verfolgen!
Ich fürchte doch etwas den Abstand, den Du hier finden wirst, obgleich die Wälder doch immer ihren schönen ernsten Zauber üben und ein treues Freundes-Herz gerade auch nicht zu verachten ist! Du weißt, daß Du dies immer findest in Deiner
alten Clara.
Die Kinder grüßen; Julie ist recht munter, Elise erwarte ich nächstens.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Baden-Baden
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Zürich
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1032-1037

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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