23.01.2024

Briefe



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ID: 14149
Geschrieben am: Mittwoch 01.11.1865
 

Frankfurt, den 1. November 1865.
Liebster Johannes,
habe Dank, daß Du so bald mich mit so liebem Gruße überraschtest! Wie machte er mich so froh, denn im Herzen lebte mir noch so heftig der Schmerz der Trennung von so vielem Lieben, daß ich mich entsetzlich schwer gleich in all das Treiben fand. Hätte ich meinem Herzen folgen können, Du hättest meinen Dank gleich gehabt, aber welche Hetztage waren das! –
Welch schöne Aussicht aber, daß wir uns so bald schon wiedersehen! Ich kämpfe recht mit mir, käme so gern zum Freitag nach Karlsruhe, hätte ich nur nicht andern Tages das Konzert in Heidelberg! Ich fürchte zu sehr, mich zu sehr zu erregen, dann bleibt man am Freitag abend noch lange beisammen, und Sonnabend habe ich nachher keine Kräfte. Joachim wird wohl kommen, ich bin dann im Geiste bei Dir mit meinen liebevollen Wünschen.
Ich war ganz erstaunt, von Dir über Frankfurter Begebenheiten zu hören, denn ich wußte von nichts, war sogar in Gesellschaft gewesen und hatte nichts gehört. Die Aufregung hier soll nur von kurzer Dauer gewesen sein.
Unser Konzert gestern war sehr brillant, und ging alles wunderschön; wir hatten ungeheuren Beifall, mußten am Schlusse das Haydnsche Finale wiederholen. Ich spielte statt der Balladen (deren Feinheiten in dem enormen Raume total verflogen wären) das Andante mit Variationen, und wollte nur, ich spielte es eben so schön in Karlsruhe, denn wirklich, es war schön! Ich war den ganzen Abend in gehobenster Stimmung, obgleich ich einen furchtbaren Konzertgeber-Leidenstag verlebt hatte, nach welchem ich kaum hoffte, gut durchzukommen. Ich erzähle Dir die Leiden mündlich, sie können Dir für den Winter etwa von Nutzen sein!
Elise hat sich, obgleich sie sagt, es haben ihr alle Glieder gezittert, vortrefflich bewährt, spielte, als ob sie gar keine Angst hätte – ich hatte um so mehr, ließ es ihr aber natürlich nicht merken. Wir wurden hervorgerufen. Ich muß gestehen, daß ich mich während der Variationen einer weichen Stimmung nicht erwehren konnte, wenn ich dachte, wie schön für Elise dies erste Debüt in einem Konzerte mit Joachim und dem Duo ihres Vaters mit mir! Hätte er das erlebt, wie liebevoll hätte wohl sein Auge geblickt! –
Bitte, sage doch Levi, er möchte auf dem Programm statt der Sonate von Beethoven am Schluß lieber „Sonate G dur von Haydn“ setzen, dann aber die einzelnen Sätze angeben, bei dem Finale (à la hongroise). Grüße ihn sehr.
Und nun, mein lieber Johannes, sei mir 1 000mal gegrüßt. Wie schön, daß ich sagen kann „auf Wiedersehen!“
Deine alte treue
Clara.
Von Julie haben wir sehr gute Nachrichten gehabt. Sie hatte eine höchst mütterlich für sie sorgende Nachbarin auf der Reise, die ihr nebenbei auch noch recht viel von Frau Pottmann und dem Blaubart erzählt hat.
Marie und Elise grüßen Euch beide schönstens.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Frankfurt am Main
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Karlsruhe
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
997ff.

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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