23.01.2024

Briefe



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ID: 14140
Geschrieben am: Sonntag 01.01.1865
 

Düsseldorf, am Neujahrsmorgen 1865.
Nun ist es doch wirklich Neujahr geworden, ehe ich Dir, mein lieber Johannes, schreiben und danken konnte. Dies der erste Brief im Jahre 1865 – soll ich das als ein gutes Omen nehmen? Gern tue ich es. Wie sehr Deine Sendung mich überrascht und erfreut hat, brauche ich Dir wohl kaum zu sagen. (Ich erhielt sie übrigens erst vor 2 Tagen, so lange war sie gegangen.) Gleich solch ein großes Stück, von dem man keine Ahnung hatte! – So viel ich es nun aus dem Lesen der Partitur – Du weißt, das geht mir nicht so leicht, da ich gar so wenig Übung habe – beurteilen kann, so erscheint es mir wieder wunderschön. Das Thema
[Notenbeispiel]
könnte Dir wohl gestohlen werden, aber was finge einer wohl damit an, der es nicht versteht wie Du, es so aufs reizendste und geistvollste mit Motiven zu umkleiden, die immer darum herum spielen und sich ineinander schlingen wie eine Kette lieblicher Gedanken. Mir ist die Stimmung dieses Satzes außerordentlich lieb, so weich und sanft. Die Durchführung hat mich auch wieder entzückt – auf die kann man sich bei Dir noch immer ganz besonders freuen – sie sind nicht wie bei anderen das Resultat geistreicher Kombinationen, bei denen mehr oder weniger das eigentliche Empfinden in den Hintergrund gedrängt wird, sondern es ist immer, als ob erst da bei Dir recht alle Motive zur innersten wärmsten Aussprache kämen, und das ist dann so ganz entzückend.◊3 Das Scherzo ist mir auch sehr lieb, frisch und interessant durch und durch. Im Adagio erklang mir gleich das erste Motiv wie ein altbekanntes aus vergangener Zeit – in welchem Stück hattest Du das früher? Das Adagio ist mir übrigens noch nicht klar, ich kann mir doch so beim Lesen nicht immer den Klang vorstellen. Ich freue mich sehr, wenn Du es mir in Wien vorspielst, da werde ich es erst recht genießen! Oder darf ich es ausschreiben lassen und ’mal bei Joachim probieren? Ich reise am 16. Januar nach Hannover, da könnten wir es probieren. Wie steht es denn mit dem letzten Satze? Kommt der vielleicht noch nach? Ich will, wenn ich keine Gegenbefehle von Dir erhalte, die Stimmen ausschreiben und in jeder für den letzten Satz freilassen. Ich habe solch eine Ungeduld, das Stück zu hören. Nun laß Dir aber noch recht innig die Hand drücken, daß Du es mir geschickt, Du lieber Komponist!
Über Dein Geschenk an Marie habe ich mein großes Pläsier gehabt, es ist doch ganz reizend. Komisch war Mariens Gesicht anzusehen, als Du erst davon schriebst, ich dachte mir aber gleich, das werde wohl nicht nur so ein trocknes Kochbuch sein, und als es nun kam, guckte ich zuerst hinein, und hinter mir gleich alle mit freudigen Ausrufungen. Das war ein netter Gedanke von Dir.
Wir haben das Weihnachtsfest ganz still verlebt – es war mir doch recht wehmütig ums Herz, die Kinder nach allen Weltenden zerstreut! Gern hörte ich bald von Dir, wie es Dir an dem Abend ergangen? Hierbei erhältst Du einen Brief wegen Logis an Frau Wagner – ist es Dir unbequem, ihn zu besorgen, so sende ihn per Stadtpost. Was hast Du denn mit dem Wiegenlied für Joachim gemeint? Du frugst mich, ob ich es unzart fände, wenn Du es herausgäbest, darauf ich, das möchtest Du jetzt nicht tun! – Ist denn da ein Blatt vor den Mund genommen? Ich bin ja immer offen, nur sage ich eine unangenehme Sache immer gern so sanft wie möglich. Ich soll das Wiegenlied nächstens bei Joachim hören, es muß sich reizend machen! Joachim schrieb mir gestern darüber.
In drei Tagen reise ich nach Berlin und bin dort vom 6. bis 15. Januar, dann in Hannover bis 18., dann Oldenburg – was nachher kommt, weiß ich noch nicht. Mitte Februar hoffe ich in Wien sein zu können. Ich höre wohl bald von Dir, wie es dort steht, ob Du Tage genommen etc.? An Hellmesberger will ich nächster Tage vorläufig schreiben, Streicher sagst Du wohl gelegentlich, wann ich komme, ich finde nicht Zeit zu allem.
Nun, liebster Freund, nimm noch die innigsten Wünsche fürs neue Jahr, und laß uns uns lieb behalten.
Deine alte Clara.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Düsseldorf
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Wien
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
956-959

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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