23.01.2024

Briefe



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ID: 14138
Geschrieben am: Montag 05.12.1864 bis: 07.12.1864
 

Hamburg, den 5. Dezember 1864.
Wie lag es mir schon lange am Herzen, Dir, liebster Johannes, ein Wort von hier zu senden; schon am ersten Morgen hatte ich es mir fest vorgenommen, da war aber an keine ruhige Stunde zu denken, und so ging es bis heute! Ich denke aber nun, ich fange ’mal an und sehe, wie weit ich komme.
Fürerst meinen Dank für Deinen lieben Brief nach Bremen – wie hätte ich dort in dem steifen kalten Bremen ein solches Willkommen erwartet! Ich war dann aber auch ganz froh die Tage dort. Und nun fand ich dann auch hier, als ich zu Deiner Mutter kam, einen lieben Gruß – auch dafür herzlichen Dank.
Bei Deiner Mutter war mir aber gar weh ums Herz, alles so auseinander gestoben, und welche Trostlosigkeit! Deine Mutter und Elise immer in Tränen, dann wieder Dein Vater, der mir sein Herz ausschüttet, und jeder schwört, er könne jedes Wort vor Gott verantworten, ich sage Dir, ich bin ganz elend davon, da wird einem das Herz immer so hin und her gerissen. Etwas noch zum Guten kehren zu können, das erkennt man gar bald als Unmöglichkeit. Von dem schlimmen pekuniären Stand der Dinge habe ich mich nun freilich überzeugt. So wie es ist, kann es nicht fortgehen, Du kannst das nicht alles allein aufbringen, es wird doch mehr, als Du denkst. Allerdings können Deine Mutter und Elise von 40 Mark monatlich leben, da haben sie aber doch noch nichts für Nebenausgaben, die sich ja täglich finden. Sie müssen also außer den 40 Mark und der Logismiete doch noch etwas Bestimmtes haben für Kleidung, Wäsche etc. Ich habe nun Deinen Vater sehr gebeten, die Sache nicht vor Gericht kommen zu lassen und etwas mehr mitzugeben; er will aber durchaus nicht und meint, er wolle es darauf ankommen lassen; ob er aber vor Gericht Recht erhält, das bezweifle ich. Denn das Gesetz sagt, der Mann muß für die Frau sorgen, wenn er von ihr geht. Mit den 100 Talern, die Du mir für die Deinigen gegeben, war ich auch in großer Verlegenheit. Du hattest mir gesagt, ich solle es nur für den Zahnarzt und Miete hergeben. Nun ist aber die Zahngeschichte noch nicht ganz beendet, die Miete erst nach dem 1. Mai fällig, sonst aber große Not! Sie haben geborgt und, wie sie sagen, keine Mark mehr im Hause. Ich habe mir die Rechnung für alle Ausgaben zeigen lassen und dachte mir, anstatt daß Du ihnen jetzt wieder 100 Taler schicktest, wäre es besser, ich gebe ihnen die meinigen, von Dir erhalten. Ich hoffe, Du bist damit einverstanden, ich wußte es nicht anders zu machen.
Den 7. Ein ganzer Tag liegt wieder zwischen diesem und dem ersten Bogen, es war der Konzerttag, und kann wohl zu den guten gezählt werden. Es war sehr gut besetzt, nur oben die Tribünen nicht, dazu gehört aber auch viel und ein anderes Programm, als sie unsereins macht. Ein kleines Malheur hatten wir im B dur-Trio von Beethoven. Hegar vergaß das Wiederholungszeichen und konnte sich nicht wieder hineinfinden, so daß ich ruhig aufhörte und noch ’mal anfing. Rose wurde zur dunkelsten Rose vor Alteration, Hegar blaß, ich aber merkwürdig ruhig, hatte es schon auf der ersten Seite wieder vergessen.
Musikalisch geht es ganz gut weiter hier, ich hörte die G moll- (die Deinige) Symphonie neulich im Philharmonischen Konzert und wirklich wunderschön aufgeführt . . . . .
Neulich habe ich große Freude gehabt, ich habe mit Rose, Hegar und Beer Dein A dur-Quartett gespielt, und das ging herrlich, hätte Dich gewiß auch gefreut! Und die Aufnahme war für Hamburg wohl eine enthusiastische zu nennen, das Adagio fand einen lang anhaltenden Applaus, alle anderen Sätze auch mehr oder weniger, am Schluß aber wurden wir sehr stark herausgerufen. Es gab auch sonst manch Gutes hier, z. B. Fidelio, wohin ich mich aber nicht zu gehen entschließen konnte, denn ich hatte ihn neulich in Karlsruhe (gerade was Orchester und Chor betraf) vortrefflich gehört, und konnte mir denken, daß man hier an eine sorgfältige Aufführung nicht dachte, Frl. Tiedgens Hauptsache war, und diese als Fidelio!!! Ich war statt dessen im Thalia-Theater und sah ein paar vortrefflich gegebene Lustspiele, wobei es sogar herzlich zu lachen gab. Und auch den sich wohlgefällig wiegenden Kapellmeister sah ich wieder, und daß ich an Dich dachte, brauche ich Dir auch nicht erst zu sagen. –
Morgen ist der Messias mit Frl. Tiedgens, Frau Joachim, die gestern mit Julie Asten kam (letztere soll in Leipzig gut bestanden haben), ich kann ihn aber nicht hören, weil ich nach Kiel zu einem Konzerte reise. Da war nun Stockhausen so liebenswürdig, sich mir hier wieder zum Singen anzubieten. – Rose und Hegar gehen mit – ich denke, es wird ein hübsches Konzert werden. Von dort kehre ich Sonnabend abend hierher zurück und reise Sonntag nach Schwerin. Was danach wird, weiß ich noch nicht gewiß; ich soll nach Oldenburg, nun ist aber am 17. ein schönes Konzert in Hannover (Beethoven-Feier), 9. Symphonie, Violinkonzert, Coriolan-Ouvertüre und elegischer Gesang. Da habe ich Dietrich gebeten, wenn möglich, meine Soiree auf den 19. anstatt 16. zu verschieben, und erwarte mit Ungeduld seine Antwort – es wäre doch bitter, so nahe zu sein und solchen Genuß entbehren zu müssen. In jedem Falle hoffe ich, zu Weihnachten in Düsseldorf zu sein – es ist bei Frl. Leser doch der einzige Ort, wo ich, zu der Zeit gerade, nicht überflüssig bin, da ich nun einmal doch nicht mit den Kindern zu Hause sein kann.
Daß Du nun endlich die G moll-Symphonie hast, bin ich froh. Die Prinzeß scheint sich schwer davon haben trennen können. Ist sie nicht reizend zierlich geschrieben? Und was hast Du wohl bei den Tintenwischern triumphiert – nun, ich sage künftig nichts mehr! Amüsiert hat es mich. Hat Dir Frl. v. Steuber geschrieben? Dann mußt Du auch ihr wieder schreiben, Adresse: Frl. v. Steuber, Hofdame Ihrer Königl. Hoheit, der Prinzeß Anna v. Hessen in Baden-Baden, Haus Benazet.
Es war neulich in Karlsruhe sehr spaßhaft, die Prinzeß abreisen zu sehen mit der Partitur (in blauem Papier eingeschlagen) unter dem Arm, die sie durchaus nicht hergab.
Die Briefe etc. habe ich bei den Deinigen geholt, die Schlüssel aber, sagte Elise, habe sie Dir noch im letzten Augenblicke bei Deiner Abreise gegeben. Ich hoffe, du hast mir nicht im Ernst zugetraut, ich würde die Briefe ansehen? Nein, liebster Johannes, ich schämte mich vor mir selbst, täte ich das, das hieße nicht Dein Vertrauen ehren. Aber schlimm ist es wegen der Douane, sowohl von hier nach Düsseldorf, als später nach Wien, denn man wird fragen, was darin, und zu öffnen verlangen, und das kann mich in die peinlichste Verlegenheit setzen. Willst Du mir deshalb nicht lieber die Schlüssel extra (nicht mit Brief, den lieber besonders) in einem Kuvert schicken? Du schreibst nur darauf: inliegend (2 oder 3) kleine Schlüssel, und schickst das an Frl. Leser.
Joachim hat Dir wohl geschrieben? Er klagte neulich sehr, daß Du ihm gar nicht schriebest, es scheint mir aber nach Deinem Brief, als erwartest Du von ihm Brief. Er ist augenblicklich auf einer Tour in Holland, und im März geht er auf 3 Monate nach England, wo er ein sehr gutes Engagement hat. Er erhält für eine bestimmte, nicht allzugroße Anzahl Konzerte 8 000 Taler . . . . . . .
Neulich hatten wir in einer Soiree in Düsseldorf ein kurioses Abenteuer; es ging plötzlich das Gas aus; nach Verlauf einer Viertelstunde gelang es, wieder anzuzünden, wir begannen das Schlußstück, die Kreutzer-Sonate, da, kaum angefangen, ein Aufflackern, und finster wurde es wieder; wir spielten aber bei den paar Lichtern am Klavier weiter, das Publikum blieb sitzen, und behaupteten die Leute, sie hätten niemals so andächtig Musik genossen; es soll ganz merkwürdig ausgesehen haben, wir beide geisterbleich bei den zwei Lichtern – wir waren merkwürdig animiert und hatten einen Beifall, wie ich ihn selten im Norden erlebt.
Wann ich nach Wien komme, kann ich noch immer nicht bestimmen, wohl nicht vor Mitte Februar! Stockhausen will in Berlin zwei Konzerte mit mir geben, dann möchte ich noch in Leipzig, Dresden und Prag spielen. Sobald ich’s bestimmen kann, erfährst Du es.
Wie steht es mit dem letzten Quintettsatz? Das wüßte ich gern! Das Wiegenlied gäbe ich aber, jetzt wenigstens, nicht heraus, warum willst Du das auch, Du kannst ja Neues machen, wenn Du willst. Nota bene! Du kannst denken, daß mich Tausigs Verheiratung interessiert hat, daß Du dabei gewesen, war mir sehr überraschend zu hören.
. . . . . . Jetzt muß ich aber zum Schluß – ich denke, geplaudert habe ich genug, nicht wahr?
So leb denn wohl, mein lieber Freund, und laß bald wieder von Dir hören
Deiner
Clara.
Marie grüßt schönstens – es geht allen Kindern gut.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Hamburg
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Wien
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
945-951

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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