23.01.2024

Briefe



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ID: 14137
Geschrieben am: Donnerstag 10.11.1864
 

Mannheim, den 10. November 1864.
Am liebsten hätte ich einige Zeilen an Dich, mein lieber Johannes, gleich vorigen Sonntag fliegen lassen – das Herz war mir voll genug, aber wir wollten das Quintett doch erst noch ’mal mit besseren Kräften, wenigstens einer besseren ersten Geige, spielen, und das taten wir denn gestern und haben Wonnestunden gefeiert! Die ersten drei Sätze klingen durchweg wundervoll (ein paar ganz kleine Stellen ausgenommen), der erste Satz entzückend, die Durchführung, wie kommt sie jetzt zur Geltung, wie klar wird sie, welche Klänge! Wie hast Du alles so wunderbar schön gemacht! Könnte ich es Dir doch so recht sagen, wie wonnig es war. Aber, liebster Johannes, am letzten Satz mußt Du noch einiges ändern, es sind da so einige Stellen, wo einem die Arbeit gar so trocken auf das warme Herz fällt! Bedenke nur, in welcher Stimmung man nach drei solchen durchlebten Sätzen ist! Es ist in dem letzten Satz (im 2. Motiv) kein rechter Zug (d. h. vor dem 6/8-Takt), und doch möchte ich es auch wieder nicht missen, nur müßte man nach dem etwas bewegteren 2. Motiv nicht wieder langsamer werden müssen! Doch Levi will Dir das ganz ausführlich schreiben, und der kann es ja viel besser und klarer und mit der Berechtigung des Verstandes neben dem Gefühl. Laß mich Dich aber inständigst bitten, laß das Werk, das wunderbar schöne, nicht zugrunde gehen am letzten Satz! Du kannst ja alles, was Du willst, und ist Dir jetzt nicht darnach zumute, so warte ein Weilchen, es kommt Dir die Stimmung schon wieder; und nun noch ’mal Dank, daß Du uns die Freude bereitet, das Quintett zu schicken. Durch Levi erhältst Du es jetzt, wie Du gewünscht, zurück.
Meinen Brief aus Karlsruhe hast Du doch erhalten? Auch den ersten aus Baden? Sag’ mir das doch immer, ich beunruhige mich sonst, da so oft Briefe in Österreich verloren gehen.
Von mir giebt es gar wenig noch zu erzählen – mit den Einnahmen kleppert es noch so, daß mir ganz angst wird! – In Karlsruhe habe ich einige Genüsse gehabt, namentlich Fidelio, wo das Orchester und Chor prachtvoll wirkten, nur waren die Solisten (außer Hauser) sehr mangelhaft – die Boni verstand weder ihre Rolle noch die Musik! Das letztere verzeihe ich ihr noch lieber als das erstere – welche Prosa gehört dazu, solch ein Weib nicht zu verstehen!
Ich weiß nicht, ob ich Dir schrieb, daß ich Julie doch wieder zu Frau Schlumberger gegeben habe? Ich dachte aber, es wäre vielleicht doch das eine Übel immer noch weniger schlimm als das andere.
Ich sehne mich recht, von Dir zu hören, wie Du jetzt lebst? Wer die Lieder druckt? Und ob Du recht vergnügt? Meine nächsten Pläne sind: am 19 Konzert in Elberfeld, 22. in Bremen, 26. in Hannover, 29. in Braunschweig, 2. Dezember Hamburg – dort bleibe ich bis zum 7., dann kommt Schwerin bis 14., dann als Beschluß vor Weihnachten Oldenburg.
Adressen schreibe ich Dir keine, Du weißt sie ja, und dann ist Frl. Leser immer sicher.
Du weißt doch, daß der kleine Joachim Johannes genannt wird? Joachim macht verschiedene Kunstreisen diesen Winter, z. B. auch nach Holland, wo er noch nie war – das wird Jubel geben. Bald sehe ich ihn nun, dann ist’s ein Jahr seit dem letzten Male. Nächster Tage spielt er in Aachen, wo Bruch seine Fritjof-Sage aufführt. Dieser ist jetzt hier, kommt wahrscheinlich nicht nach Wien, da er eine Stelle in Aussicht hat. Er ist doch lange nicht so angenehm als seine Briefe. In seinem Urteil macht er mir sogar nicht den Eindruck des Selbständigen, er scheint mir immer bemüht, den andern nach Wunsch zu sprechen, so wie etwa Dietrich.
Ich schwatze, und wer weiß, was alles Du vorhast und kaum Zeit zum Lesen! So leb denn wohl, liebster Freund, und gedenke bald mit einem Worte
Deiner
Clara.
Ich gehe morgen auf 8 Tage nach Düsseldorf. Marie und Elise grüßen schönstens – Elise ist eben bei mir und zieht morgen gen Baden zur Prinzeß.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Mannheim
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Wien
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
940-944

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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