23.01.2024

Briefe



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ID: 14136
Geschrieben am: Donnerstag 03.11.1864
 

Karlsruhe, Donnerstag den 3. November 1864.
Liebster Johannes,
ein Dankeswort will ich Dir heute doch wenigstens senden, damit Du wissest, wie innig Du mich mit Deinem lieben Empfangsbrief hier erfreut, und dann, wie entzückt wir sind, das herrliche Quintett zu haben. Levi und David sitzen wie angenagelt beim Kopieren, und Levi erzählt mir, wie wundervoll es instrumentiert sei. Zum Glück fügte es sich so, daß ich noch einige Tage hier bleiben kann, und am Sonntag morgen wollen wir es bei Levi probieren – da sei Du denn unter uns in Gedanken, wie wir mit Dir.
Über das Quintett habe ich nun so meine ganz besondere Freude noch, denn abgesehen davon, daß ja während dem Schaffen selbst Dir dies reinste höchste Freude wurde, bringt es Dir noch eine, die nicht zu den kleinsten gehört. Ich benutzte einen Augenblick des Entzückens der Prinzeß über die Dedikation, ihr ein schönes Geschenk für Dich vorzuschlagen, auf das ich zu glücklicher Stunde kam, und sie beauftrage mich gleich, es zu besorgen – daß ich es mit Wonne tat, wirst Du glauben, wenn Du es siehst. Hoffentlich schickt sie es Dir bald, eben habe ich es ihr überbracht (sie war gestern zu Konzert herübergekommen) – mit schwerem Herzen überlasse ich ihr die Freude, Geberin zu sein.
Ich erzählte ihr, daß die Sonate nun als Quintett gekommen sei, da frug sie, in welcher Gestalt es ihr nun wohl dediziert sei? Worauf ich „in jeder“ natürlich antwortete. Dann, ob sie wohl das erste Exemplar bekommen werde? Ich natürlich „ja“. –
Wer wird es nun wohl drucken? Härtels bietest Du es hoffentlich nicht an? Die werden sich mit den Liedern schon auch noch zu ärgern haben! Diese druckt nun wohl Spina?
Hauser sang gestern das Magelonenlied in As dur wunderschön, nur spricht er so mangelhaft aus, daß man vom Text kein Wort verstand.
Von mir kann ich Dir soweit Gutes sagen, ich gab bis jetzt drei Konzerte und spielte so kräftig und glücklich, daß ich wohl gern Dich zum Zuhörer gehabt hätte. In Stuttgart ist mir leider die Viardot mit einem Konzert im Theater, welches sie auf denselben Abend festgesetzt hat, wo meines stattfinden sollte, in die Quere gekommen, aber ohne ihre Schuld, die Königin hatte es gewünscht, so daß ich es nun ganz aufgeben mußte; nun geht mir aber nicht dieses allein verloren, sondern mehrere in der Umgegend, es ist also ein Verlust von mindestens 500 Tlr. – ich hab’s aber ganz und gar verschmerzt, denn mit der Nachricht kam auch Dein Quintett-Brief, und da war ich ganz froh, daß ich nun noch hierbleiben konnte.
Mad. Viardot hat neulich ihre Kunsthalle (wie sie sie nennt) eingeweiht, erst für die vornehme Welt (Königin von Preußen u. a.), wobei sie mich natürlich nicht brauchte, nachher für den Plebs, wo ich dann würdig war! – Das Ganze aber eben nicht sehr würdig. Der Beschluß empörend! Die Orgel klingt wundervoll und hätte einem wohl Freude machen können, wäre sie würdig behandelt gewesen, aber mit dem Pedal konnte Mad. Viardot noch nicht spielen und begann nun mit der D dur-Fuge
[Notenbeispiel]
etc.
von Bach, die sich miserabel ausnahm, dann kamen einige hübsche Lieder von ihr mit Orgel, Violine etc., ich mit einer Beethovenschen Sonate, dann ein Dilettant (ein Offizier) mit einer enormen Stimme, aber Gumbertsche Gassenhauer, dann zum Schluß das Bachsche Präludium von Gounod, von ihr für Orgel, Harfe, Violine und 3 Frauenstimmen gesetzt, die am Schlusse, gerade wie in einer Verdischen Oper, unisono dermaßen brüllten, daß mir Hören und Sehen verging und ich empört die Kunsthalle (!!!) verließ. Ich konnte mich nach dem nicht mehr entschließen, wieder hinzugehen, und so bin ich fort, ohne sie wieder gesehen zu haben.
Ach, warum kann ich solch ’ne Orgel nicht haben, wie sollte sie mir heilig sein, und wenn Du dann kämst und darauf spieltest, welche Göttermusik wäre das dann!
Ich habe doch manchmal gedacht, ob ich nicht nach Amerika gehen sollte, da verdiente sich gleich genug dazu.
Es kommen Besuche, und so muß ich schließen.
Wie froh bin ich, daß Du eine behagliche Wohnung hast – ich adressiere dahin, das ist mir viel gemütlicher. Wie freue ich mich, wenn wir da erst ’mal bei einer Tasse Kaffee traulich zusammensitzen.
Sei mir herzlichst gegrüßt, mein lieber Johannes, und denke Deiner
alten
Clara.
Du hörst sehr bald wieder von uns.
Marie grüßt schönstens. Levi grüßt, auch Ludwig.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Karlsruhe
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Wien
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
936-940

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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