23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 14132
Geschrieben am: Mittwoch 01.06.1864
 

Düsseldorf, den 1. Juni 1864.
Ich hätte Dir, lieber Johannes, früher auf Deinen vorletzten Brief nach Rußland (mit dem schönen Programm) geschrieben, wenn ich nicht den letzten hätte abwarten wollen, um zu wissen, ob Du noch in Wien, dann auch meine glückliche Rückkehr nach Deutschland, die nun wirklich, Gott sei Dank, vor 14 Tagen erfolgt, sowie Dein letzter Brief mir vorgestern zukam, wofür meinen Dank. Ich dachte es mir übrigens fast, daß Du jetzt nicht nach Hamburg gehen würdest, sondern erst Stockhausens Hochzeit vorbeilassen. Du konntest Dich nicht gut zurückziehn und doch nicht mit dem Herzen dabei sein, als wäre er Dir ein lieber Freund.
Wie lieb ist es mir aber, daß Du die Stellung in Wien wieder angenommen – ich dachte mir immer dasselbe, was Du auch äußerst, daß manche Menschen Dein so baldiges Fortgehen anders auffassen würden. Sehr recht hast Du aber, auf Abschaffung von Übelständen zu bestehen, erreichst Du auch nicht alles, etwas doch. –
Über Deinen Reichtum bin ich freudig erstaunt, da hast Du ja gegen 400 Taler und kannst den Sommer nach Lust herumbummeln oder Dir ein schönes Plätzchen zum Arbeiten aussuchen. 22 Tlr. 15 Sgr. habe ich auch wieder Zinsen für Dich. Ich wollte, Du ließest ’mal Zinsen zu Zinsen kommen, damit sich das Kapital vergrößerte.
Deinen Brief mit dem interessanten Konzertbericht erhielt ich in der Wunderstadt Moskau, davon ich Dir einmal mündlich erzählen will, wenngleich der Eindruck, den diese Stadt mit ihren 400 Kirchen, den goldnen Kuppeln, vom Kreml aus gesehen, kaum zu beschreiben ist. Ich habe Dir einige Stereoskopen mitgebracht – will sie Deiner Schwester für Dich schicken.
Einem großen Feste, der Osternacht auf dem Kreml, haben wir beigewohnt, das werde ich mein Lebtag nicht vergessen. Was mich speziell betrifft, d. h. meine Erfolge in Rußland, so bin ich in Anbetracht der jetzigen, höchst schlimmen Geldverhältnisse dort doch zufrieden, in Deutschland hätte ich das nicht erschwingen können. Die Anstrengungen waren freilich oft sehr groß. So z. B. mußte ich von Petersburg nach Moskau 20 Stunden reisen, kam morgens 9 Uhr dort an, hatte um 11 Uhr Probe und abends Konzert, dann noch drei Konzerte darauf, einen um den anderen Tag. Dann kehrten wir von Petersburg direkt nach Berlin zurück, 44 Stunden Reise. Das war schlimm für meinen armen Rücken, ich überstand aber alles, trotzdem ich fast immer unwohl in Rußland war (ich konnte Klima und Wasser schlecht vertragen), sehr gut.
In Moskau fand ich Nicolas Rubinstein – der Mensch hat eine Technik, die enorm, dabei ganz kleine kurze Finger, spielt aber nur meist Salonsachen und haut nach der Mode, Pedalgerassel und Verschiebungsgefühl! Er ist aber ein sehr liebenswürdiger Mensch, freilich mit moralischen Grundsätzen, die mir entsetzlich.
Es ist doch wahrhaft schade um die beiden so sehr begabten Brüder, aber überall fehlt ihnen der eigentliche Ernst, der Respekt vor der Kunst. Anton R. kommt auf 2 Monate nach Baden, er will dort arbeiten – ihm muß man wünschen, daß er es tue, ich fürchte aber, er spielt wieder.
Du wunderst Dich gewiß, daß ich noch nicht in Baden, ich bin aber durch allerlei Besuche aufgehalten; im Harz sah ich eine alte Freundin, eine wahrhaft musikalische Seele, nach 18 Jahren wieder. Die Freude, die ihr mein Besuch und mein Spiel machte, ließ mich schnell das Opfer vergessen, das es mich erst gekostet, gerade jetzt, wo mein Herz sich wahrhaft nach dem schönen Zuhaus sehnt, noch Besuche zu machen. Die Arme ist seit 12 Jahren gelähmt und lebt mit ihrem Manne (Pastor) in einem Dorfe, wo sie nichts hört, als kommt ’mal einer zu ihr. Sie ist die Tante von Rudorff. Joachim hat sie auch ’mal besucht, Du solltest es auch tun, wenn Du ’mal in den Harz kommst. Die Roßtrappe und all die schönen Harzgegenden sind dort in der Nähe.
Frau Joachim besuchte ich auch. Joachims Konzert soll schön, aber hier und da zu dick instrumentiert sein, darum hat er es wohl auch nicht in Aachen gespielt. Rabe ist ganz plötzlich fortgeschickt, seine Unverschämtheit überstieg alle Begriffe.
Ich besuche nun noch Hiller, Schmitts in Frankfurt, dann geht’s nach Haus, wo Marie und Elise mir jetzt alles hübsch behaglich wieder einrichten. Julie fand ich sehr munter, sehr viel kräftiger, und hoffe, sie soll diesen Sommer nach einem 4wöchentlichen Aufenthalt mit mir in St. Moritz in Graubünden (uns beiden verordnet als Luftkur) ganz gesund werden….
Bist Du denn noch gar nicht in den Steiermärkischen Gebirgen gewesen, und wie lange bleibst Du noch in Wien? Die Deinigen erwarten Dich gewiß recht sehnsuchtsvoll! Laß mich bald von Dir und Deinen Plänen hören, und, magst Du, auch, was Du arbeitest? Hattest Du den Rinaldo in Aachen eingeschickt? Hoffentlich nicht.
So leb denn wohl, und sei herzlich gegrüßt
von Deiner
Clara.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Düsseldorf
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Wien
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
908-912

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



Wir verwenden Cookies, um Ihnen den bestmöglichen Service zu gewährleisten (Mehr Informationen).
Wenn Sie auf unserer Seite weitersurfen, stimmen Sie bitte der Cookie-Nutzung zu. Ich stimme zu.