23.01.2024

Briefe



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ID: 14128
Geschrieben am: Mittwoch 25.11.1863
 

Schwerin, den 25. November 1863.
Wie gern, lieber Johannes, hätte ich Dir gleich nach Empfang Deines Briefes geschrieben, hätte ich Dir doch so gerne gleich meine innige Freude über Deinen schönen Erfolg ausgesprochen, wie sehr ich aber diese Zeit angestrengt bin, davon hat nur einen Begriff, wer dabei war. Ich spiele morgen seit 8 Tagen zum fünften Male öffentlich, in vier verschiedenen Städten, und was alles hängt da noch daran von Anstrengungen! – Ich denke übrigens, daß auch ohne meine Auseinandersetzung Du wissen mußt, daß nur die dringendsten Geschäfte mich abhalten könnten, bei solcher Gelegenheit mich gleich mit meinem Glückwunsch einzustellen. Du hast übrigens aber der Freude gleich einen Dämpfer aufgesetzt durch Deine Aeußerung, daß Du doch nicht daran denkst, die Stellung zu behalten, während ich mir Dich schon ganz an Wien gefesselt glaubte. Ich weiß nicht, warum Du Dietrichs und Stockhausens Stellungen beneidenswert findest? Du hast ja in den Aufführungen auch mit Orchester zu tun? Oder möchtest Du lieber nur Orchester-Konzerte zu leiten haben? Stockhausens Stellung ist nicht eben sonst beneidenswert bei solch geringer Anerkennung wie in Hamburg. Für schöne Orchester-Leistungen ist das Publikum dort noch lange nicht reif – ich denke, vielleicht kommt’s. Es waren wirklich wunderschöne Aufführungen, die der Leonorenouvertüre und Roberts C dur-Symphonie. Letztere hatte ich so fein nie gehört, und hatte ich etwas auszusetzen, so war es eine Unruhe, die sich durch das Ganze zog; sowohl das Orchester, wie auch der Dirigent waren etwas befangen, was auch natürlich. Ich denke, das verliert sich mit der Zeit. Stockhausen wird bald auch die meisterliche Ruhe im Dirigieren behaupten. Ich konnte es doch jetzt wieder recht sehen, welch schweren Stand Du als Hamburger und so junger Mann dort gehabt hättest. – Der Ärger hätte wohl bald Deine Flügel gesenkt. Wie anders mag das in Wien sein. Überrascht aber hat mich Dein Erfolg dort gar nicht, ich habe mir ihn vorausgedacht. Gerade zur selben Stunde, als Du dort dirigiertest, spielte Rose etc. Dein Sextett – leider nur hatten sie es nicht genug studiert, das war übereilt.
Deine Eltern fand ich, namentlich Deine Mutter, prächtig frisch – wir haben auch ’mal geeierpunscht, wobei Du natürlich gehörig lebtest. Fritz hat mir auch ’mal vorgespielt, Deine Händel-Variationen, die ihm aber doch über seine Kräfte gehen. Er hat übrigens eine recht gute Technik, nur finde ich sein Spiel so gar trocken; ich begreife das kaum, wo er Dich doch so viel gehört! –
Ich war diesmal nur kurz in Hamburg, habe überhaupt die Zeit seit Oktober sehr benutzt, viel gespielt! Es ist aber auch nötig, sonst wüßte ich nicht, wie ich alles beschaffen sollte. –
Wie steht es denn mit Deinem Komponieren? Wie mit dem Schlußchor des Rinaldo? Und wie ist’s mit der C moll-Symphonie? Willst Du mir nicht ’mal schicken, was Du noch hast zu den Hexenvariationen? Fuge, wie mir Marxen sagt, auch einige langsame Variationen? Auch schriebst Du mir von einem Schluß daran, für Konzert-Spiel eingerichtet? –
Ich komme zu Weihnachten nach Düsseldorf, und hoffe, dort mich 14 Tage auszuruhen (wenn’s dazu kommt), da könnte ich mir Neues gut ansehen!
Daß Dir das Requiem so lieblich erschienen, freut mich, mir war es das immer. Kürzlich habe ich auch in Münster gespielt und war enthusiastisch aufgenommen; eine hübsche Ueberraschung bereiteten mir die Chordamen am Schluß durch einen förmlichen Blumenregen, der über mich fiel, fast betäubend. Ebenso erging es mir gestern hier vom Publikum nach Roberts Konzert, was mich sehr erfreute. . . . . .
. . . . . . Mit Rußland ist es so nun ziemlich bestimmt, daß ich gegen Ende Januar dorthin gehe. Wie schwer mir der Entschluß wird, darüber will ich nicht weiter sprechen; wie schwer überhaupt dieser Winter, weil ich mich gar nicht wohl fühle, doch was hilft’s, ich muß durch. . . . . . .
Ich reise Ende dieser Woche nach Leipzig, bleibe dort bei Livia bis zum 8. – 10. Dezember, dann spiele ich in Braunschweig mit Joachims, dann Bielefeld, Bremen am 22. Dezember, mit Gott hoffe ich am 23. in Düsseldorf einzurücken – wäre es schon so weit! –
Meine sichere Adresse ist also bis 10. Leipzig, dann bei Frl. Leser, die immer weiß, wo ich bin.
So leb denn wohl, lieber Johannes. Möge Dein Wirken Dir immer erquicklicher werden, ich hoffe es und wünsche es Dir wie alles Gute
von Herzen. Deine Clara.
Julie Asten meine Grüße – schreiben kann ich ihr unmöglich, ich ermögliche kaum mehr das Nötigste.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Schwerin
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Wien
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
882-885

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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