23.01.2024

Briefe



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ID: 14126
Geschrieben am: Freitag 10.07.1863
 

Baden, den 10. Juli 1863.
Das wurde länger mit meinem Dank, lieber Johannes, als ich es gewünscht, denn am liebsten hätte ich ihn Dir gleich ausgesprochen; erst wollte ich aber die schönen Sachen kennen lernen, dann kam eine Reise nach Kreuznach dazwischen, nachher hier ein solcher Trubel, Zusammenfluß von Künstlern, daß die Tage jetzt nur so schwinden. Also meinen herzlichen Dank für alles! Die Walzer von Schubert haben mich sehr erfreut und der Lazarus gar entzückt! Wie muß das alles so wundervoll klingen! Welche Stellen namentlich mich entzückt haben, kannst Du Dir denken. Die riationen habe ich schon wieder mit Kirchner gespielt, einzelne sehr lieb, andere weniger, doch ist mir das Ganze immer lieber geworden.
Über Dein Quartett sind wir aber, Kirchner und ich, ganz entzückt. Ich habe es in zwei Gesellschaften bei mir gespielt, das letztemal◊2 mit ausgezeichneten Künstlern, Jean Becker, Jaquart (Cello) und Koning, einem vortrefflichen Spieler (Viola); Rubinstein hörte es beide Male, doch der versteht es noch nicht, aber Lachner aus Mannheim war sehr teilnehmend (schon viel für einen alten Kapellmeister), dann Levi und nun gar Kirchner, dem entging schon das erstemal keine schöne Note. Bis auf wenige Stellen, die mir herb oder flau vorkommen (z. B. der Schluß des Trios im Scherzo), ist es ein wundervolles Werk für mich, und haben wir es so recht genossen. Ich muß Dir doch recht geben, daß es schöner ist als das G moll, bedeutender auch musikalisch, der erste Satz auch viel abgerundeter.
Ein recht bewegtes Leben ist das jetzt, eines kommt nach dem andern – noch ist es mir so ungewohnt, bei mir im Hause immer so viel Menschen zu sehen; aber es ist doch sehr angenehm, daß man hier immer z. B. die Kräfte zu einem Ensemble findet, wenn sie auch freilich wechseln. Das erstemal, als wir Dein Quartett spielten, hatten wir es tüchtig vorher studiert, das zweitemal waren drei andere Spieler, sie spielten es vom Blatt, und doch wieviel schöner ging es als das erstemal – Du hättest Dich auch daran gefreut, hättest Du es gehört.
Levi ist schon seit 8 Tagen hier, Rubinstein seit 3 Wochen, auch Jaëll, Moritz Hartmann; Dietrich kam neulich ein paar Stunden, gerade als wir abends die Musik hatten, durfte sie aber nicht mit anhören, obgleich es ihm schon wieder viel besser geht. Er ist in die Schweiz.
Wie lieb ist es mir, daß Du die Stelle in Wien nun angenommen – ich hoffe zuversichtlich, daß es zu Deiner Freude wird, ein immer schönerer Wirkungskreis, und kaum gibt es wohl eine Stadt in Deutschland, wo Du so leicht Anerkennung findest, als in Wien. Für Deine Eltern, namentlich Deine gute Mutter, ist es freilich sehr hart, doch, es hat eben jedes sein Schweres, und sie wird doch auch Freude davon haben, und, wer weiß es, ob nicht gerade dort Dein Leben sich harmonisch gestaltet, wie es nie in Hamburg geworden wäre. Wie sehr wünsche ich Dir das.
Kirchner bat mich, Dich zu fragen, ob Du dem Rieter nichts aus Schuberts Nachlaß verschaffen könntest, oder alles? Lazarus sende ich Dir hierbei wieder zurück – Levi hat es uns gestern noch ’mal vorgespielt, was mir sehr lieb war, denn die Schlüssel machten mir doch zu schaffen.
Von uns kann ich Dir soweit ziemlich Gutes sagen. Mit Julie geht es so leidlich, Ferdinand ist jetzt zu den Ferien hier, Ludwig kommt auch für ein paar Tage, ich aber werde sehr bald fortgehen. Ich sehne mich nach der Schweizer Luft, die mir trotz der Kälte, die ich voriges Jahr dort ausgestanden, doch sehr wohl in ihren Folgen getan, und wer weiß, ob ich mich nicht schon in nächster Woche auf und davon mache. Eines der Mädchen bleibt jedenfalls hier, Julie geht nach Gebweiler etc. etc. Du kannst aber doch hierher adressieren.
Du rüstest Dich wohl nun schon bald nach Wien? Mit Baden hast Du sehr recht, das wäre ja eine extra Reise und gar kostspielig, und wie muß man Deiner Mutter jeden Tag gönnen, den Du länger jetzt bleibst.
Grüße Sie und alle.
So leb denn wohl – laß bald von Dir hören, und nochmals den schönsten Dank von
Deiner
Clara.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Baden-Baden
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Blankenese bei Hamburg
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
872-876

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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