23.01.2024

Briefe



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ID: 14120
Geschrieben am: Donnerstag 01.05.1862
 

Brüssel, den 1. Mai 1862.
Jetzt endlich bin ich von Paris fort, seit gestern hier, und heute benutze ich ein ruhiges Stündchen, Dir, lieber Johannes, zu schreiben. In Paris ging es die letzten Wochen so zu, daß ich von früh bis Abend keine freie Minute mehr hatte. Ich mußte noch ein 4. Konzert geben, dann noch eines für den deutschen Hilfsverein, und nun bin ich einer Privat-Einladung der Fürstin Orloff hierher zu einer Soiree gefolgt; die Soiree war gestern, Madam Viardot war auch mit hier; heute habe ich noch eine Einladung zu einer Soiree erhalten, honorieren sie gut, so bleibe ich noch einige Tage hier. Ich wohne bei Kufferraths, wo ich mich ganz behaglich fühle.
In Paris ist es mir bis zuletzt sehr gut gegangen, und, was in Jahren keinem Instrumentalisten gelungen, ich habe auch hübsch verdient, freilich hat aber auch Mad. Erard meinen Aufenthalt im Hotel bezahlt, der mindestens 400 Tlr. gekostet haben muß. Sie hat das auf eine Weise getan, das [sic] ich nichts dagegen machen konnte; gleich als ich kam, bat sie mich, daß sie mich ganz als ihren Gast betrachten dürfe etc. Ein schönes Instrument habe ich mir auch ausgesucht, und so bereue ich in keiner Weise, daß ich nach Paris gegangen. Aber müde bin ich, und freue mich auf ruhige Zeit, die ja nun bald kommen wird. Was ich vornehme, weiß ich noch nicht recht, ich muß jedenfalls erst nach Berlin, dann entscheidet sich das andere. Sonntag denke ich in Düsseldorf einzutreffen und hoffe dort sehr auf Brief von Dir – ich bleibe doch einige Tage, habe auch Hiller einen Tag in Köln versprochen. So wird denn wohl das Ende nächster Woche herankommen, ehe ich in Berlin bin.
In Paris hatte ich noch am Vorabend meiner Abreise eine kleine Soiree von nur Künstlern bei mir, wo ich Deine Variationen auch spielte – vorher hatte ich sie schon einmal mit dem Sextett und einer Serenade einigen Musikern bei mir vorgespielt, und sie hatten diese so gepackt, daß sie mich baten, sie noch einmal zu spielen. Wie steht es denn damit, hat sie Härtel im Verlag? Hast Du wirklich mit Dir selbst gehandelt? Wie wenig mir das nach Sinn, kannst Du wohl denken. Szarvady bat mich um eine Kopie derselben für seine Frau – erlaubst Du dies? Oder kommen sie bald heraus?
Was Du jetzt arbeitest, darnach frage ich gar nicht mehr – ich erfahre ja leider nichts davon, wie überhaupt von Deinem innern Leben!
. . . .
Von Joachim hast Du wohl gehört, daß er oft in drei Konzerten an einem Tage spielt. Ich habe mir nie anders gedacht, als daß er wieder nach London zurückgehen würde. Hat er Dich nicht zur Ausstellung dorthin eingeladen? Das solltest Du Dir doch ’mal ansehen. Neulich hörte ich auch, Du gehest im Herbst mit Joachim nach Wien? Warum erfahre ich dies durch andere, lieber Johannes? Weißt Du nicht mehr, wie mir alles, was Dich betrifft, so nahe geht?
Stockhausen erzählte mir, mit Deinen Liedern, das sei nicht so gewesen, Du habest Dir das wohl eingebildet. Ich kann es mir auch gar nicht denken, nicht wegen der Lieder selbst, und nicht wegen des Sängers.
Ich werde eben zu Tisch abgerufen, muß Dir also Adieu sagen.
Grüße mir die Deinigen sehr, schreibe mir auch, wie es Deiner Mutter geht. Ist bei Euch auch so heißer Sommer? Herrlich blüht es wohl um Dich herum und in Dir? Laß mich bald davon hören, von Sonntag an in Düsseldorf.
In alter Treue
Deine Clara.
Marie grüßt, sie geht schon vor mir nach Berlin zurück.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Brüssel
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Hamm bei Hamburg
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
829-832

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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