23.01.2024

Briefe



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ID: 14113
Geschrieben am: Donnerstag 21.11.1861
 

Hannover, den 21. November 1861.
Mein lieber Johannes,
wie hast Du mich heute durch Deinen lieben Brief erfreut, er kam gerade nach der Probe des Mozartschen Konzerts, wobei ich so viel Deiner gedacht – gerade wie damals in Detmold beim G dur und A dur. Es ist wundervoll, aber auch schwer genug. In Leipzig es zu spielen, fürchte ich etwas, denn David tritt schon gleich mit solch einer Nonchalance an Mozart heran, daß man lieber gar nicht erst anfinge, und schlecht genug geht es dann. Wir werden es nun morgen erst ordentlich studieren. Deine Kadenz gefällt Joachim sehr, bis auf den einen unaufgelösten 6/4-Akkord, den ich nun, da Du mir kleine Änderungen gestattet, aufzulösen mir erlauben werde. Über das Orchester (in der D dur-Sinfonie von Haydn) habe ich wieder neue große Freude gehabt, und zumeist auch über den Dirigenten. Welch eine Wonne ist’s, noch einen zu sehen, dem die Freude aus den Augen blickt, und der dem Ganzen eine Weihe gibt, sobald er nur ans Pult tritt, die einen gleich warm und andächtig stimmt von dem ersten Klange an. Du mußt das noch recht genießen diesen Winter, liebster Johannes – ich wünsche Dir es so sehr. . . . .
Das G dur-Konzert glückte mir aber sehr gut – ich wollte nur, Du hörtest mich mal, wenn Du nicht dabei bist! Ich will’s dann immer recht besonders gut machen und verliere dadurch oft ganz die Freiheit. Das Publikum war auch sehr enthusiastisch, nur die Herren Töpken und Möller legten ihre gestrenge Kennermiene keinen Augenblick ab. Ich hätte Dir von dort gleich am ersten Tage geschrieben, aber das war ein so anstrengender Tag, am Vormittag Besuche gemacht, geübt, nachmittag wieder noch Fräulein Möller eine Stunde vorgespielt, daß ich am Abend ganz elend war. Die Nacht war kalt, zugefroren die Fenster, wir froren trotz aller Decken unaufhörlich, dabei hatten wir noch das besondere Mißgeschick, daß an allen 3 Sitzen die Federn gesprungen waren und wir schauerlich saßen – mein armer Rücken schmerzte mich entsetzlich. An Schlaf war also wenig zu denken, wohl aber dachte ich viel an Dich, der Mond schien so hell bis morgens 7 Uhr, und da schickte ich noch durch ihn den Morgengruß an Dich. Wie wäre ich wohl traurig, sähe ich Dich nicht bald wieder, aber bald kommt es ja auch anders.
Joachim kommt nicht nach Hamburg – ich konnte unter den Umständen nicht zureden, wäre mir geradezu rücksichtslos egoistisch erschienen.
Noten behauptet er keine zu haben – Du wirst sie ihm wohl später selbst entlocken müssen.
Was ist’s denn eigentlich mit Rieter und den Konzertstimmen? Kann er sie etwa nicht zu rechter Zeit beschaffen?
Daß Du deshalb noch Schererei gehabt, tut mir leid.
Schrieb Dir Rieter, daß wir mit seinem Konzert durchgefallen?
Wir müssen heute abend nach Herrenhausen – hatten gar nicht daran gedacht. Ich will jetzt noch üben gehen und muß Dich deshalb verlassen.
Sonntag früh fahre ich nach Oldenburg – dort will ich recht an Dich denken, es geschieht freilich schon genug, ohne daß ich es mir vornehme.
Joachim grüßt, auch Julie herzlich, und so sei denn umarmt, mein Herzens-Freund, von
Deiner alten
Clara.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Hannover
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Hamm bei Hamburg
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
805-808

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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